Schuldenwirtschaft
Die Wende am Zinsmarkt hat viele Menschen auf dem falschen Fuß erwischt. Betroffen vom Zinsanstieg sind aber nicht nur Bauwillige, sondern auch Kommunen, welche für die Erschließung von Neubaugebieten in Vorleistung gehen und nun fürchten müssen, sich mit ihrer Kalkulation verzockt zu haben. Hier auf 1621.sh wollen wir uns in einer dreiteiligen Serie mit der Frage beschäftigen, welche Folgen das für das geplante Neubaugebiet am Schlickkoog in Friedrichstadt hat.

2. Teil: Was wollen (und können) wir uns leisten?
Die Wende bei der Baufinanzierung
Die Zinswende an den Finanzmärkten hat nicht nur Einfluss auf die Hypothekarzinsen und die Bereitschaft (bzw. die Fähigkeit) von Bauwilligen, ihren Wunsch nach einem Eigenheim umzusetzen.
Sie hat auch einschneidende Konsequenzen für Kommunen. Insbesondere für solche, welche mit einer hohen Schuldenlast zu kämpfen haben. Im zweiten von drei Beiträgen, welche das geplante Neubaugebiet am Schlickkoog in Friedrichstadt aus einem etwas anderen Blickwinkel betrachten, wollen wir uns aber erst einmal mit den Grundlagen von Finanzierungen beschäftigen.
Bauen auf sicherem Grund (Sicherheit für die Bank)
Ob jemand sein Bauprojekt umsetzen kann, hängt an verschiedenen Faktoren. Die allermeisten davon haben mit Geld zu tun, bzw. mit der Beschaffung der fehlenden Mittel in Form einer Hypothek. Eine Hypothek ist ein Darlehen, welches durch eine im Grundbuchverzeichnis eingetragene Grundschuld abgesichert ist. Dadurch ergibt sich für den Darlehensgeber eine privilegierte Situation im Zuge eines Störfalles, weshalb die Zinsen im Vergleich zu anderen Krediten deutlich tiefer liegen.
Die Stellschrauben bei der Baufinanzierung
Das gilt aber nur, wenn die Sicherheit – also der Wert der Liegenschaft – tatsächlich hoch genug ist, um einen allfälligen Zahlungsausfall abzudecken. Damit dies der Fall ist, stehen der Bank grundsätzlich zwei Stellschrauben zur Verfügung:
- Die Belehnungsgrenze
- Die Bewertung des Objektes
Bei der Belehnungsgrenze handelt es sich um einen Prozentsatz, zu welchem ein Objekt belehnt werden kann. Bei Wohnbauten sind das üblicherweise 80% des Wertes. Bei gewerblich genutzten Liegenschaften deutlich weniger. In euphorischen Zeiten ist die Bank unter Umständen bereit, mehr als diese 80% zu finanzieren (sofern es ihre Eigenmittel zulassen), weil sie davon ausgeht, dass die Immobilienpreise in Zukunft noch weiter steigen werden und sich die gewünschte Quote eher früher als später einstellen wird.
Banken sind bereits im Krisenmodus
In kritischen Phasen ist die Bank vorsichtiger, bzw. die Bundesbank macht hinsichtlich der notwendigen Eigenmittel mehr Stress. Dann wird es keine 110% Finanzierungen geben. Außerdem kommt die zweite Stellschraube zur Anwendung:
Immobilien haben – anders als viele Hausbesitzer und Hausbesitzerinnen zu glauben pflegen – keinen fixen Wert, sondern einen Marktwert. Dieser hängt vom Verhältnis des Angebotes zur Nachfrage ab: Ist die Nachfrage hoch, sind die Preise hoch. Sinkt die Nachfrage oder ist das Angebot zu hoch, sinken die bezahlten Preise.
Das weiß auch die Bank. Deshalb entscheidet sie eigenmächtig, wie hoch sie eine Immobilie bewertet. In guten Phasen ist sie großzügig. In schlechten ist sie ausgesprochen vorsichtig. Denn eines ist klar: Die Bank will bei einem Störfall nicht drauflegen. Und das kann sie nur verhindern, indem die Sicherheitsmarge möglichst groß ist.
Altbauten werden wohl deutlich günstiger… Neubauten eher nicht
Aktuell torkeln wir in Richtung einer schwachen Marktphase. Wir erkennen das an der Verweildauer der sogenannten Maklergalgen vor den Verkaufsobjekten. Diese hat spürbar zugenommen.
Entsprechend wird die Vergabe von Krediten an mögliche Häuslebauer vorsichtiger gehandhabt. Das bedeutet, dass diese entweder ihre Ansprüche reduzieren oder mehr Eigenmittel aufbringen müssen. Beim Kauf von bestehenden Liegenschaften müsste man jetzt noch die Anpassung der Preise nach unten ins Spiel bringen. Bei Neubauten (dem Thema dieser Serie) ist das aber kein Thema. Denn die wichtigsten Faktoren (Baumaterial, Verfügbarkeit von Handwerkern, gestiegene Anforderungen an die Energieeffizienz etc.) sind aktuell unveränderliche Größen bzw. wirken sich eher in Richtung steigender Preise aus.
Das Geld wird knapper
Leider ist dies nicht das einzige Problem, vor welchem Neubauwillige stehen. Die Bank achtet nämlich nicht nur darauf, dass sie im Störfall zu ihrem Geld kommt, sondern legt auch Wert darauf, diesen möglichst zu verhindern. Das tut sie, indem sie für sich (und den Kreditnehmer) definiert, wieviel Prozent des Einkommens für den Bereich „Wohnen“ aufgewendet werden darf.
Was gerne von Lokalpolitikern vergessen wird: Dieser Anteil beinhaltet nicht nur die Zinszahlung, sondern auch den Unterhalt und, ganz wichtig, die Tilgung.
Wie hoch getilgt werden kann und muss, hängt grob von zwei Faktoren ab:
- Die Dauer bis zum Eintritt ins Rentenalter. Je jünger ein Mensch ist, desto mehr Zeit bleibt ihm, die Schuld zu tilgen. Wer kurz vor dem Rentenalter steht, muss jährlich also viel mehr aufwenden als ein Dreißigjähriger.
- Je höher die Zinszahlungen sind, desto weniger bleibt für die Tilgung übrig.
Das größte Problem für Häuslebauer ist also nicht das moderat gestiegene Zinsniveau. Es ist das damit einhergehende Schwinden der Fähigkeit, die exorbitant hohen Schulden zu tilgen, welche die hohen und immer weiter wachsenden Baukosten fordern.
Beispiel:
Alter Zinssatz: 1% -> Zinsen auf 500.000 € = 5000.- € pro Jahr
Neuer Zinssatz: 3% -> Zinsen auf 500.000 € = 15.000 € pro Jahr
Die nachfolgenden Grafiken zeigen, was das in der Praxis bedeutet:
Wenn keine Gegenmaßnahmen ergriffen würden, wäre es bei gleichbleibender Tragbarkeit für die Bauherren nicht mehr zu schaffen, die Schulden abzutragen. Hier wäre die Baufinanzierung also nicht mehr möglich, weil die Bank dies nicht zulassen würde.
Die maximale Tragbarkeit einer Hypothek hat sich mit den höheren Zinsen massiv verschoben. Nur eine Reduktion der Kreditsumme, kann daran etwas ändern. Weil die Preise für Neubauten nicht gesunken sind, bedeutet das entweder ein kleineres Haus, eine ungünstigere Lage oder den Verzicht. So entscheidet die Baufinanzierung mit, ob ein Neubaugebiet überhaupt eine Chance am Markt hat.
Berechnung: https://www.finanzen-rechner.net/annuitaetenrechner.php
Fazit:
Für Menschen, deren Einkommen bisher gerade dazu ausgereicht hat, diese 500.000 € zu finanzieren, sinkt der mögliche Kreditrahmen um ca. 100.000 bis 150.000 €, je nach Kreditlaufzeit.
Nun können Bauwillige entweder diese Finanzierungslücke mit (wenn noch vorhandenem) Eigenkapital füllen, oder sie bauen sich ein Haus, welches viel, viel kleiner ausfällt.
Wunsch und bittere Wirklichkeit
Die Erfahrung zeigt, dass es nicht allzu viele Menschen im fortpflanzungsfähigen bzw. -willigen Alter gibt, welche diesen Betrag einfach so aus dem Hut zaubern können. Jene, welche es können, sind in der Regel älter und gehören eher nicht der Klientel an, die sich die Verantwortlichen in Friedrichstadt als Zielgruppe für das Neubaugebiet vorstellen. Zumindest entsprechen sie nicht den nach außen kommunizierten Kriterien.
Nun stellt sich die Frage, was die Zinswende konkret für die Interessenten eines Grundstückes am Schlickkoog bedeutet. Ich will hierzu keine abschließende Antwort geben, sondern den Lesern die folgende kleine Rechnung präsentieren, aus der sie ihre eigenen Schlüsse ziehen mögen:
Angenommen, ich habe eine Kreditsumme von 100.000 € zu stemmen. Bin ich unter diesen Umständen tatsächlich bereit, 70.000 – 80.000 € Mehrkosten zu akzeptieren, welche der Bau (an einem zudem eher weniger geeigneten Standort in Friedrichstadt) kosten wird? Oder ziehe ich dann nicht eher einen geeigneteren und günstigeren Bauplatz vor?
In Viöl stünde ein solcher Bauplatz zur Verfügung, doch selbst dort hat sich rund die Hälfte der Interessenten vorerst gegen einen Bau entschieden.
Wie wird das wohl erst in Friedrichstadt sein?
Kurzfassung
Wenn wir uns die aktuellen Zinsen ansehen, so stellen wir fest, dass diese im historischen Vergleich immer noch sehr niedrig sind. In der Relation zu den Zinssätzen, welche wir noch vor einem Jahr sahen, haben sie sich jedoch verdreifacht. Damit haben sich die Grundlagen der Baufinanzierung hinsichtlich der Tragbarkeit massiv verschoben. Die Fähigkeit, die aktuell notwendigen Bausummen mit Hilfe einer Hypothek zu stemmen, steht nun bei vielen Bauwilligen in Frage.
Das bedeutet, dass sich die Nachfrage nach neuen Bauplätzen stark vermindern wird. Besonders jene Baugebiete, welche mit einem strukturellen Nachteil behaftet sind, dürften es für nicht absehbare Zeit sehr schwer haben, Bauwillige anzuziehen. Denn wenn die Baukosten hoch und genügend Alternativen vorhanden sind, werden es sich Bauherren zweimal überlegen, ob sie sich zusätzliche Aufwendungen leisten wollen. Oder es sich überhaupt leisten können, diese zu finanzieren.
Für Kommunen, welche Geld in die Erschließung neuer Baugebiete investieren, bedeutet dies hohe Folgekosten bei der Finanzierung und die Ungewissheit, ob diese jemals zurückfließen werden.
Aller guten Dinge sind drei –
Wir haben eine ausführliche Analyse, die Kurzfassung für Eilige, und ich mag noch zwei Miniaturen für ernsthaft Zeitgeizige spendieren.
Voilà:
– Raum ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich liebend Paar. (vgl. auch Philipp Otto Runge: Von dem Fischer und syner Fru, 1806)
– Vor leeren Trögen streiten sich die Schweine. (N.N., Rinderzüchter*in)
Ach, noch eine kleine Ergänzung, damit wir wiederum auf die schöne Zahl 3 kommen: Passend zur Jahreszeit sprach auch Rainer Maria Rilke mal davon, dass der richtige Zeitpunkt zum Hausbau irgendwann verpasst sein könnte.
Nun ja, ob ein Lyriker die für diese Sachfragen erforderliche Qualifikation mitbringt, kann man – aber muss man nicht – in Frage stellen.