Die verlorene Brieftasche
Ein Dank dem (nicht ganz ehrlichen) Finder
Man hat mir meine Brieftasche wiederverschafft. Sie ging auf dem Weg zur Post verloren. Ganz schön doof, wenn etwas so Wichtiges einfach verliert. Man denke nur an das Geld, die Karten und die vielen Ausweise. Aber zum Glück gibt es ehrliche Menschen.
Der zerstreute Professor
Es zu bestreiten wäre sinnlos: Ich verlege und verliere Dinge. Immerzu. Das war schon immer so. In der Grundschule (!) nannten sie mich schon „Herr Professor“ und es war nicht, wegen meiner herausragenden Leistungen, sondern wegen meiner hässlichen Hornbrille und der mit Händen greifbaren Zerstreutheit. Ja, ich bin zerstreut. War ich immer schon.
Als ich also am vergangenen Freitag meine Brieftasche verloren habe, hat mich das zunächst wenig beunruhigt. Es hat mich eigentlich überhaupt nicht beunruhigt, denn ich bin mir das gewohnt. In der Bundesdruckerei haben sie sich überlegt, ob sie eine eigene Produktionslinie für meine Ausweise aufbauen sollen oder ob es reicht, meine Ausweise auf Lager zu nehmen. Ich glaube, sie haben sich für die Lagerhaltung entschieden.
Das ist natürlich grob überzogen. Zwar suche ich dauernd meine Brieftasche (und meine diversen Schlüssel), aber meistens tauchen sie wieder auf. Entweder im Auto, unter dem Bett, im Kühlschrank oder – Überraschung! – in einer Manteltasche. Doch auch dann, wenn ich sie tatsächlich einmal irgendwo liegen gelassen oder verloren habe, kann sie wieder beschafft werden. Etwa, als ich sie auf dem Flughafen von Beijing im Flieger vergessen habe. Das Gesicht meiner Frau hätten Sie sehen sollen, als ich mir regelkonform den Weg zurück in das Flugzeug gebahnt habe. Quasi die Sicherheitslinien gegen den Strich gebürstet habe. Ich hatte Glück: man hat mich nicht erschossen und die Brieftasche habe ich auch wieder bekommen.
Ich komme langsam zum Punkt
Manchmal bin ich auf einen ehrlichen Finder angewiesen. Klappt beinahe immer. Tatsächlich muss ich meiner Ausweise in der Regel nicht deshalb wiederbeschaffen, weil sie mir abhandengekommen wären. Nein, die Regel gilt genau umgekehrt: Ich finde muss sie wiederbeschaffen, weil ich nach einer Woche erfolglosem Suchen die Karten gesperrt und die Ausweise als verlorengegangen angezeigt habe – womit diese wertlos sind. Und jetzt kommt der Höhepunkt. In dem Moment, da ich den Weg von der Polizeistation meines Vertrauens ins traute Heim gefunden habe, stolpere ich im Büro oder im Schlafzimmer über das Verlorengeglaubte!
In den Momenten, da mir die Brieftasche hingegen aus der Tasche gefallen oder in der Bahn liegen geblieben ist, erhalte ich innert kürzester Zeit einen Telefonanruf von einem ehrlichen Finder oder einer ehrlichen Finderin. Meine verrückteste Geschichte in dieser Beziehung ist, als ich meiner Angewohnheit folgend (welche ich inzwischen aber abgelegt habe…), mein Handy und meine Brieftasche beim Einsteigen ins Auto auf das Dach abgelegt und dort vergessen hatte. Beim Beschleunigen ist mir mein Portemonnaie dann unbemerkt runtergefallen. Wir reden von einer achtspurigen Stadtautobahn in München!

Und trotzdem hat sich jemand gefunden, der mich später kontaktiert hat, um mir mitzuteilen, er habe die Brieftasche unter Einsatz seines Lebens für mich gesichert!
Da waren noch andere. Menschen, welche das Geld vermutlich dringend gebraucht hätten und mir die Brieftasche trotzdem nach Hause gebracht haben.
Friedrichstadt ist (ein wenig) anders
In Friedrichstadt ist das nicht anders gelaufen. Als mich der Anruf der örtlichen Polizeistation erreicht hat, wusste ich natürlich sofort um was es ging. Ein ehrlicher Finder hat meine Börse gefunden und sie pflichtbewusst abgegeben. Super!
Von Friedrich Merz (nicht verwandt mit Herzog Friedrich III.) wird ja die Geschichte erzählt, dass er 2004 sein Laptop unterwegs irgendwo verloren habe. Zwei Obdachlose hätten diesen dann entdeckt, sich kurz ein Bild über den Inhalt des Rechners gemacht (nun, als stellvertretenden Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU gab es vermutlich keinen Grund, seinen Computer mit einem Passwortschutz zu versehen) und ihn dann artig über den Bundesgrenzschutz dem rechtmäßigen Besitzer zugeführt. Bravo!
Ihre Ehrlichkeit soll von Friedrich Merz mit einer Ausgabe seines Buches „Nur wer sich ändert, wird bestehen“ belohnt worden sein. Übrigens versehen mit der persönlichen Widmung des Autors: „Dem ehrlichen Finder“.
Die beiden Obdachlosen zeigten sich völlig undankbar und entsorgten das Werk nach eigenen Worten in der Spree. Was für ein Frevel. Ich denke mal, dass es ihnen nachts in ihrem Schlafsack an der notwendigen Nachttischlampe gefehlt hat. Womöglich konnten sie sich aber auch nicht darauf einigen, wer das Buch zuerst lesen durfte. Und da beide eine Abneigung gegenüber bereits gelesenen Büchern hatten, war der einzige Ausweg diesen neoliberalen Erguss der Spree zu übergeben.
Nun, ich bin nicht in der CDU. Deshalb zeige ich mich gegenüber ehrlichen Findern großzügig. Das erste, was ich den Polizisten heute gefragt habe: Weiß man, wer es gefunden hat? Für mich die normalste Sache der Welt, dass ich mich bei der betreffenden Person bedankt hätte. Mit Worten und natürlich auch mit einem satten Finderlohn.
Dankbarkeit zu zeigen ist nicht zwingend selbstlos
Das mache ich nicht nur weil ich ein guter Mensch bin, der gerne teilt. Auch nicht, weil es nicht mehr als anständig ist, sich dafür zu bedanken, dass mir dank dieser Tat viel Ärger und Kosten erspart geblieben ist. Es gibt einen ganz egoistischen Grund, sich in einer solchen Situation großzügig zu zeigen: Es ist ökonomisch.
Nicht nur, wenn etwas Verlorenes zurückgebracht wird. Eigentlich bei jeder sich bietenden Gelegenheit sollte man eine angemessene Dankbarkeit zeigen. Deutsche haben damit ein echtes Problem. Das ist dumm. Ich will ihnen erklären, warum:
Wenn Sie sich etwa im Straßenverkehr dafür bedanken, dass sich ein anderer Verkehrsteilnehmer zuvorkommend verhalten hat, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich dieses Ereignis an anderer Stelle wiederholt. Und umgekehrt. Deutsche bedanken sich praktisch nie. Engländer immer. Wo glauben Sie, ist der Verkehr stressfreier und angenehmer?
Eben nur fast ehrlich
Mit Brieftaschen verhält es sich exakt gleich. Wenn ich einen großzügigen Finderlohn leiste, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Finder bei der nächsten Gelegenheit wieder so ehrlich verhält. Nun, im meinem Fall hat der Finder oder die Finderin nicht gewusst, dass ich nur auf dem Papier Deutscher bin, in Wirklichkeit aber Schweizer Wurzeln habe. Deshalb hat er oder sie sich selber bedient und die Brieftasche monetär betrachtet ausgeräumt.
Lieber Finder, liebe Finderin: Vielen Dank dafür, dass Sie das einzig richtige gemacht haben und mein Portemonnaie bei der Polizei abgegeben haben. Wegen dem gestohlenen Geld (ja es ist Diebstahl!) bin ich Ihnen nicht gram. Vermutlich hätten Sie von mir sogar mehr bekommen. Allerdings hätte es sich nicht nur deshalb für Sie gelohnt, wirklich ehrlich zu bleiben. Sie hätten meinen Finderlohn mit einem guten Gewissen und dem Gefühl, dass es noch Menschen gibt, die eine anständige Tat zu schätzen wissen, ausgeben können. Jetzt aber liegt ein gewisser Schatten über der Sache. Eigentlich schade, denn ich bin Ihnen nämlich wirklich dankbar!