Am 20. Februar wurden in einem Fachforum in Berlin drei Studien vergleichend vorgestellt, die alle drei von einflussreichen wissenschaftlichen Einrichtungen erarbeitet wurden. Wir können davon ausgehen, dass diese Szenarien einen großen Einfluss auf den Klimaschutzplan haben, den die Bundesregierung im September vorstellen will. Sie sind daher auch für unsere Region von großer Bedeutung. Die Studien belegen: Vor allem die Frage, in welchem Umfang Deutschland in Zukunft für eine 80 – 95 prozentige Dekarbonisierung auf synthetische Brennstoffe angewiesen ist und wo diese erzeugt werden und welche Rolle Biomasse spielen wird, ist für die Zukunft der ländlichen Räume ein Schlüsselthema.
Die vielfältigen Szenarien, die von den Gutachtern berechnet wurden weisen in in folgenden Punkten eine sehr hohe Übereinstimmung auf:
- Der Gebäudebestand in Deutschland muss schnellstmöglich saniert werden. Das geht nur durch Anreize und Förderung. Allerdings ist es unklar, ob es überhaupt genügend Handwerker/Unternehmen gibt, die es umsetzen können und ob die Hausbesitzer so schnell mitziehen. Gelingt schon dies nicht, werden die Klimaziele verfehlt.
- Für die kalten Winter sind trotz Klimaerwärmung auch Mitte des Jahrhunderts noch Spitzenlastkraftwerke und Pufferspeicher erforderlich. Sie sollen Versorgungsengpässe verhindern. Außerdem brauchen wir eine Infrastruktur, die das Energiesystem flexibel macht. Es wird ein deutlicher Zuwachs an Wärmepumpen erforderlich sein, ein massiver Aufbau an Energiepuffern (Batterien) und viele Anlagen zur Umwandlung von Strom in synthetische Energieträger sowie den Umstieg auf Elektroautos, Schiene und Fahrzeugen (Flugzeuge), die mit synthetischen Treibstoffen bewegt werden.
- Alle drei Studien gehen davon aus, dass die Energiewende bezahlbar ist, dass sie den Standort Deutschland nicht existenziell gefährden, dass sie mit geeigneten Maßnahmen sozial gestaltet werden kann und dass NICHTS teurer ist, als jetzt NICHT zu handeln. Der „teuerste“ Fall ist nichts zu tun oder es zu spät zu tun.
Schnellerer Ausbau regenerativer Energien JETZT notwendig
Alle drei Szenarien gehen davon aus, dass die regenerativen Energien schneller und umfangreicher als bisher geplant und in einem deutlich höheren Umfang ausgebaut werden müssen. Strom ist die Leit-Energie und sie soll vor allem mit Windkraft erzeugt werden, während die Photovoltaik vor allem für die Wärmeerzeugung zentral ist. Allerdings liegen die Prognosen zum Teil sehr weit auseinander. Derzeit geht die Bundesregierung von einem jährlichen Zuwachs von 4 GigaWatt aus. Erforderlich wären jedoch mindestens 6 wenn nicht sogar 10 oder 12.
Die Prognosen gehen davon aus, dass 2050 zwischen 250 und 600 Gigawatt Erneuerbare Energien zu Verfügung stehen müssen. Die großen Abweichungen beruhen auf unterschieldichen Annahmen darüber, wie hoch der Stromverbrauch sein wird und wie viel synthetische Kraftstoffe benötigt werden (Wasserstoff, Synthetische Treibstoffe) und ob diese Kraftstoffe in Deutschland hergestellt werden sollen oder ob sie importiert werden. Die ESYS- Studie setzt darauf, dass in großem Maßstab synthetische Brennstoffe erforderlich sein werden, die alle national erzeugt werden sollen. Dies geht nur von man nicht nur 1,5 Prozent sondern bis zu 4 Prozent des Landes mit Windkraftanlagen ausstattet und die Abstandsflächen zu Wohnbebauungen reduziert. Dieses Szenario dürfte vor allem auch Norddeutschland betreffen, das heute schon Hauptlieferant von Strom für die norddeutsche Energiewende ist, und einen noch höheren Beitrag zur gesamtdeutschen Energiewende leisten müsste. Alternativ müssten auch andere Regionen in Deutschland ähnlich ambitioniert in die Erzeugung von Windenergie einsteigen.
Allerdings kann der Bedarf an synthetischen Brennstoff auch durch Importe gedeckt werden. Synthetischen Brennstoffe lassen sich weit kostengünstiger in Regionen produzieren, die rund ums Jahr mehr Sonne haben (Südeuropa, Nordafrika). Da sich Wasserstoff nicht für weiträumige Transporte eignet, sind andere synthetische Brennstoffe im Gespräch. Darunter auch Brennstoffe, die von keinen Antriebswechsel bei der Fahrzeugflotte erfordern. Wasserstoff hat seine Stärken dezentral und als Speichermedium für Wind- und Sonnenenergie, bleibt also für regionale Konzepte unbedingt relevant. Die Importvariante hat vor und Nachteile. Für Importe spricht die Tatsache, dass Deutschland als Exportweltmeister ein Interesse daran haben muss, dass andere Regionen etwas zu tauschen haben. Gegen Importe sprechen die üblichen Argumente der Abhängigkeit und Verletzlichkeit. Synthetische Brennstoffe und vor allem Wasserstoff sind jedoch erst dann wirtschaftlich, wenn die Preise die ökologische Wahrheit sagen und u.a. das Gas aus Russland durch eine CO2-Abgabe verteuert wird.
Das Szenario des Bundesverband der Deutschen Industrie setzt auf Biomasse und geht als einziges davon aus, dass die CSS-Technologie (Ausfiltern und Einlagern von C02) für die Erzeugung von Prozesswärme notwendig ist. Das BDI Szenario ist das „billigste“. Es kostet am wenigsten. Es geht davon aus, dass Strom wo immer möglich direkt und effizient eingesetzt wird. Es ist ein Plädoyer für Elektromobilität und Wärmepumpen, die diese die geringsten Umwandlungsverluste haben. Dieses Szenario kommt bei 80 % Einsparung von C02 ohne synthetische Energieträger (Wasserstoff, synthetische Brennstoffe u.ä.) aus. Bei einer 90%igen Einsparung sind synthetische Energieträger erforderlich, die im wesentlichen importiert werden sollen.
Das Gutachten, das von der Deutschen Energieagentur erarbeitet wurde, geht einen mittleren Weg. Es geht auch von einem erheblichen Zuwachs an regenerativen Energien aus und es geht davon aus, dass synthetische Energieträger erforderlich sein werden und ganz überwiegend importiert werden.
Für alle die es selber und ganz genau wissen wollen. Die Fachtagung in Berlin wurde mit dem Video unten dokumentiert. Die drei Studien können außerdem nachgelesen werden:
Nationale Akademie der Wissenschaften: Optionen für die nächste Phase der Energiewende; www.energiesysteme-zukunft.de/themen/sektorkopplung;
Bundesverband der deutschen Industrie e. V.: Klimapfade für Deutschland; www.bdi.eu/publikation/news/klimapfade-fuer-deutschland;
Deutsche Energie-Agentur: DENA -Leitstudie Integrierte Energiewende; www.dena.de/de/integrierte-energiewende
Und eine Kurzfassung der Synopse kann hier heruntergeladen werden:
Kommentar: Wer heute darauf setzt, dass die Energiewende in großem Umfang synthetische Brennstoffe braucht, die national aus Windstrom erzeugt werden, der muss jetzt dafür sorgen, dass nicht nur Norddeutschland den dafür benötigen Strom aus Windenergie erzeugt, sondern auch andere Regionen in die Produktion von Windenergie einsteigen. Dithmarschen und Nordfriesland produziert heute bereits 200 Prozent mehr Strom aus regenerativen Energie, als es braucht und die Bevölkerung und das Land profitieren bisher kaum davon. In anderen Regionen der Welt, würde man eine solche Entwicklungsstrategie „Extraktivismus“ nennen. Ein Land verkauft seine natürlichen Rohstoffe (Biomasse/Land/Wind/Natur) weil sonst nichts hat und beutet seine natürlichen Ressourcen aus, weil es keine andere Optionen für die Wertschöpfung hat. Wenn der Norden noch mehr Lasten übernehmen soll für die Gesamtdeutsche Energiewende, dann muss das mit einen Rückfluss an Investitionen verbunden werden: De Norden braucht Investitionen, die ganz konkret den Menschen in der Region dienen und den demografischen Wandel entschleunigen oder umkehren. Dazu gehören z.B. eine sehr gute Verkehrsanbindung, der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs und nachhaltige Mobilitätsangebote, ein Ausbau der Universitäten, die Ansiedlung von HighTech-Schmieden wie es z.B. die Fraunhofer-Gesellschaften sind aber eine Wirtschaftsförderung 4.0. Vor allem aber müssen die Menschen auch direkt von der Energiewende profitieren: Preiswerter Strom, saubere Wärme, Förderung bei der Sanierung des Gebäudebestandens und BürgerEnergieparks und warum nicht aus Beteiligungen an den Netzen. Wir brauchen also eine Energiewende die an erster Stelle das Gemeinwohl zum Ziel hat, und nicht dazu beiträgt, dass die Einkommens- und Vermögensunterschiede, die heute schon extrem sind, weiter zunehmen.