Freie Sichtachse – weniger ist nicht immer mehr

Es ist eine Woche her, seit ich an dieser Stelle meiner Freude darüber Ausdruck gegeben habe, dass wir in Friedrichstadt ein klein wenig vom Lockdown profitieren durften. Anlass war ein unerwarteter Zustrom kaufkräftiger Kunden, welche in SPO und anderen Orten keinen Zugang gefunden haben, da diese für Tagestouristen gesperrt waren. Nun, die Landesregierung wird sich gedacht haben, dass diese wohl kaum nach Friedrichstadt strömen würden, weshalb wir hier keine Beschränkungen unterlagen. Inzwischen ist das Glück verflogen. Ab sofort gilt wieder: Jeder hat die Kunden, die er verdient. Das gilt auch oder gerade für Friedrichstadt.

Neue Angebote in der Prinzenstraße

In der Einkaufsmeile haben zwei neue Betriebe eröffnet. Ein neues nettes, frisches Café (Prinzenstraße 29) und das kleine, aber sehr feine  „Schneck & Biber„, ein wie soll man es nennen – Fachgeschäft für gehobenen Kinderspielzeugbedarf (Prinzenstraße 21). Beide Betriebe sind, das möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen, eine Bereicherung. Beide Betriebe werden von Zugezogenen betrieben. Und lassen Sie es mich einmal so formulieren: Das ist kein Zufall… Wir von 1621.sh wünschen den Neustartern alles Gute und viel Erfolg. Leicht wird es nicht werden.

Das liegt nicht nur an der aktuellen Wirtschaftslage in Zeiten von Corona und der Angst eines Wiederaufkeimens der Pandemie. Es hat auch damit zu tun, dass man als Unternehmen in Friedrichstadt mit dem leben muss, was man hat. Und da hängt es eben nicht allein am eigenen Talent, am eigenen Businessplan und am eigenen Fleiß. Man ist auch davon abhängig, wie sich der Standort als Ganzes präsentiert und positioniert. Mit anderen Worten: Als lokales Unternehmen ist man nicht allein auf sich gestellt, sondern sitzt auf Gedeih und Verderb im selben Boot mit allen anderen Akteuren.

An manchen Orten funktioniert das gut. An anderen ist es eher eine Belastung. Wie steht es mit Friedrichstadt?

Die freie Sichtachse im Blick

Zum Glück haben wir in dieser kleinen Landgemeinde eine politische Führung, welche sehr rührig ist und „das große Ganze“ sieht, bzw. das Ganze sehen möchte. Aus diesem Grunde wurde für gutes Geld (ich kann die obszöne Summe, welche ich gehört habe, gar nicht glauben, weshalb ich sie hier lieber weglasse) eine sogenannte Sichtachse auf die Gebäude am Markt eingerichtet. Stand heute kann man sagen, dass dieser Verlust an Parkraum dazu geführt hat, dass besonders die Bänkchen vor dem Brunnen gut angenommen werden und einen hohen Zuspruch erfahren. Quasi ein touristischer Drive-In.

Wer das Angebot annimmt, genießt von hier einen autofreien Blick auf historische Fassaden. Naja, zumindest in der Theorie.

Kleine Frage: Welchen Return on Investment bringt diese freie Sichtachse der Gemeinde, sorry der Stadt und ihrem Gewerbe? Ist der Marktplatz damit aufgewertet worden? Hat die Gastronomie auf dem Platz dadurch gewonnen (was ein monetärer Mehrwert bedeuten könnte)?

Nein, natürlich nicht. Weder ist der Platz nun schöner, noch wurde die Kulisse aufgewertet. Denn es ist ein Flickwerk, welches entweder nicht zu Ende gedacht wurde oder man besser nicht wissen möchte, was sich die Verantwortlichen davon versprochen haben. Wäre es Ihnen nämlich ernsthaft darum gegangen, den Platz aufzuwerten, hätte man die Autos ganz verbannen müssen. Vor allem hätte man dafür sorgen müssen, dass die vielen Autos vor der Fassade verschwinden…

´Sichtachse des Bösen

Aber selbst dann. Was würde das bringen?

Der Platz könnte noch so schön sein. Wenn er lieblos bespielt wird, verliert er jede Ausstrahlung. Während an anderen Orten mit einer historischen Kulisse, um solche Plätze die besten Cafés und Restaurant gruppieren, liegt das Schwergewicht in Friedrichstadt auf – sagen wir einmal – nüchterne Effizienz.

Jeder hat die Kunden, die er verdient

Mit diesem Ambiente muss man sich nicht wundern, wenn die etwas betuchtere Kaufkraftgruppe sich gemütlichere Orte sucht, um dort ihr Geld liegen zu lassen. Weshalb sollte ich, wenn ich es mir leisten kann, auf ein nettes Ambiente verzichten?

Natürlich macht die Lage dem Standort Friedrichstadt das Leben unnötig schwer. Würde die Stadt wie Husum am Meer liegen, die Nachfrage wäre größer, das Publikum automatisch kaufkräftiger.  Doch ein großer Anteil daran, dass wir eben nur die Krümel abkriegen, liegt auch am Angebot. Es ist einfach nicht wertig genug. Wer auf Selbstbedienung und pflegeleichte Möblierung setzt, wer nicht bereit ist durch ein hochwertiges Angebot zu überzeugen, muss sich nicht wundern. Jeder hat die Kunden, die er verdient.

Für den einzelnen Unternehmer, die einzelne Unternehmerin kann es durchaus nachvollziehbar und richtig sein, ein Sparbrötchenangebot zu machen. An einer zentralen Lage wie dem Marktplatz, welcher quasi das Aushängeschild des Standortes ist, hat dies aber einen fatalen Einfluss auf die übrigen Geschäfte. Denn es ist eine Botschaft gegen außen: Seht her, wir können vor allem billig. Und Sie werden es nicht glauben, aber diese Botschaft wird gehört.

Es liegt deshalb nicht allein am Geschäftsmodell von Schneck & Biber, ob Ursula Cisar damit erfolgreich sein wird. Wertige Angebote brauchen das entsprechende Publikum. Fehlt dieses, weil die Stadt eher ein anderes Zielpublikum anzieht, wird es schwer.

Am Marktplatz erkennen wir, weshalb es fehlt. Nicht wegen der bislang fehlenden Sichtachse, sondern weil es kaum einen Grund gibt hier zu verweilen. Wäre es anders, würde man hier mehr Einheimische finden, welche ihr Feierabendbier mit Freunden auf dem Platz genießen.

Kaum ein anderer Tourismusstandort verschenkt seine Möglichkeiten derart fahrlässig, wie das Städtchen zwischen Treene und Eider. Vielleicht würde es helfen, wenn man im Rathaus eine Sichtachse auf die tatsächlichen Probleme freilegen würde? Doch solange dort die Entwicklung des Immobilienmarktes eine höher Bedeutung genießt, wie Realwirtschaft, wird sich vermutlich nichts ändern.