Über das Phänomen der verschlossenen Türen in Friedrichstadt

Eine der interessantesten Beobachtungen in diesem Jahr, betrifft ein Phänomen, welches vermutlich nicht neu ist, sondern die Stadt schon seit einigen Jahren begleitet. In dieser Sommersaison hat es in meinen Augen jedoch Auswüchse angenommen, welche dem Standort Friedrichstadt auf Dauer nicht gut bekommen dürfte. Die Rede ist vom Phänomen der verschlossenen Türen.

Friedrichstadt (ein bisschen) im Bann der Pandemie

Als die Landesregierung im Frühling den Lockdown verkündete, war das Gejammer – nicht nur in Friedrichstadt – groß. Denn bei verschlossenen Türen lassen sich bekanntlich keine Geschäfte machen. Ganz so schlimm wie befürchtet, ist es in Friedrichstadt dann aber doch nicht gekommen. Dank der „Soforthilfen“ des Bundes dürften – mit Ausnahme der Gastronomie – wohl einige Geschäfte sogar besser gefahren sein. Denn so richtig rund läuft hierzulande das Geschäft im März und April ja bekanntlich nicht.

Wer jedoch erwartet hat, die Wirtschaftstreibenden würden nach Aufhebung der Maßnahmen alles daran setzen, um in der verbleibenden Zeit möglichst viel von dem eingehandelten Rückstand wieder aufzuholen und um für die absehbare zweite und dritte Welle gewappnet zu sein, sah sich getäuscht.

Eigentlich hätte man erwarten können, die Wirtschaftstreibende würden nach Ende der Maßnahmen alles daransetzen, in der verbleibenden Zeit möglichst viel von dem eingehandelten Rückstand wieder aufzuholen, welcher ihnen der Lockdown beschert hat. Schon nur, um besser für die absehbare zweite und dritte Welle gewappnet zu sein.

Im Nachhinein kann gesagt werden, dass gerade in Friedrichstadt die Bedingungen für diese Aufholjagt ideal waren (siehe der Beitrag hier). Viele Betrieben (auch wir vom Rosen-Huus) dürfen sich darum über einen guten wirtschaftlichen Jahrgang 2020 freuen. Glück gehabt!

Friedrichstadt – immer für eine Auszeit gut!

Ob diese überraschend positive Entwicklung der Grund dafür war, dass einige Betriebe sich den Luxus leisten konnten und wollten, ihre Geschäfte mit angezogener Handbremse zu führen? Etwa, indem sie die Öffnungszeiten nach Gutdünken und Tagesform veränderten. Oder indem sie ihrer Gewohnheit folgend, auch in diesem Jahr ihren Sommerurlaub im Sommer, also mitten in der Hochsaison abfeierten. Oder als dritte Alternative, den Betrieb vorzeitig einstellten, weil sie die Kunden einfach nur noch nervten. Für die Gäste war das Ergebnis jeweils dasselbe: Sie standen vor verschlossen Türen und wunderten sich, dass dies in einer selbsterklärten Tourismushochburg möglich sei. Nun, die Gäste haben eben das Kleingedruckte nicht gelesen:

Die Stadt der verschlossenen Türen

Dieser Slogan wird wohl von den Falschen wörtlich genommen…

Damit wir uns richtig verstehen: Es geht hier nicht um die Kritik an diesen Betrieben. Absolut jeder hat in einer freien Marktwirtschaft das Recht, Entscheidungen nach eigenem Gutdünken zu treffen. Genau dies macht bekanntlich den Unterschied zur Planwirtschaft aus.

Ich gehe sogar davon aus, dass jeder einzelne Betrieb, bzw. die Träger dahinter, für sich genommen einen guten, berechtigten Grund hat, so zu handeln, wie er handelt.

Wie genau funktioniert Tourismus?

Allein, Friedrichstadt wird von seinen Gästen und Besuchern als Gesamtorganismus wahrgenommen. Und in diesem Kontext sieht es eben nicht besonders glücklich aus, wenn Betriebe geschlossen und Öffnungszeiten nicht verlässlich sind. Auch wenn es die Friedrichstädter nicht gerne hören: Die Menschen kommen in der Regel nicht aus kulturellem Interesse in die Stadt, sondern weil sie Abwechslung und Unterhaltung in einem netten Ambiente suchen. In diesem Zusammenhang stößt es mehrheitlich auf Unverständnis, wenn die erwarteten Angebote (die jede andere Stadt in dieser Situation uneingeschränkt anbietet) nicht verfügbar sind.

 

Keine Ausnahme ohne Regel

Ich entschuldige mich an dieser Stelle bei all jenen Friedrichstadt Fans, welche sich wirklich für die Historie und die Architektur der Stadt interessieren. Wie wir aber alle aus dem Geschichtsunterricht der Schule wissen, stellen sie eine bedauernswerte Minderheit dar. Es ist zu befürchten, dass ihr Anteil nach der Schule nicht gestiegen ist. Ich erlaube mir deshalb die Verallgemeinerung mit dem Hinweis, dass sich alle Kulturbeflissenen einer exklusiven Randgruppe zugehörig fühlen dürfen. Schön, dass es diese auch noch gibt!

Ich bin jetzt kein gelernter Tourismusfachmann. Trotzdem glaube ich nicht, dass ich mich zu weit aus dem Fenster lehne, wenn ich behaupte, dass Tourismus nur im Verbund funktioniert. Und aus diesem Grunde sind die einzelnen unternehmerischen Entscheide, die Einfluss auf das Gesamtgebilde haben, eben doch nicht reine Privatsache.

Diese Aussage gilt ausdrücklich nur für die Hauptsaison. Außerhalb der Saison spielt es kaum eine Rolle, wie sich die einzelnen Anbieter aufstellen. Denn jenseits der Hauptreisezeit sind die Erwartungen des Publikums an einen Ferienstandort sehr gering. Niemand erwartet von einer Sommerdestination, dass sie im November oder Februar die gleichen Angebote bereitstellt wie im August. Ähnliches kennt man ja von Italien, Spanien oder Griechenland. Entsprechend löst sich in dieser Zeit die Schicksalsgemeinschaft „Tourismus“ für einige Monate auf. Die Gewerbetreibenden erhalten jenen Freiraum zurück, der ihnen während der Saison abhandengekommen ist.

Das Phänomen der verschlossenen Türen hat seine Gründe

Bevor ich über die Ursachen hinter dem Phänomen der verschlossenen Türen schreibe, noch einmal der Hinweis, dass es nicht darum geht, irgendjemandem Vorwürfe bezüglich der persönlichen Prioritätensetzung zu machen. Selbstverständlich geht das alles in Ordnung und niemandem steht das Recht zu, dies zu kritisieren. Aber es hat Konsequenzen.

Friedrichstadt ist eine kleine Nummer im Tourismus. Es besitzt für sich genommen wenig Ausstrahlungskraft. Wir sind touristische Zweitverwerter und greifen das ab, was die großen Ferienorte am Meer übriglassen. Man erkennt es daran, dass wir in erster Linie von Tagestouristen leben, welche entweder auf der Durchreise sind oder ihr Feriendomizil am Meer haben und sich ab und an etwas Abwechslung gönnen.

Umso wichtiger wäre es, diesen Tagestouristen ein attraktives Umfeld für Ihren Tagesausflug zu bieten. Die Grundvoraussetzungen dazu wären nicht schlecht, wenn wir unsere Assets richtig einsetzen würden. Aber tun wir das wirklich?

Nein.

Eine kleine Stadt hat keinen Puffer

Das Angebot einer kleinen Stadt wie Friedrichstadt ist naturgemäß nicht übermäßig groß. Reduziert sich die Zahl der Angebote, weil hier jemand einen zusätzlichen Ruhetag oder dort jemand anderes gerade im Urlaub ist, dann fällt das den Besuchern auf. Einfach deshalb, weil die Ausweichmöglichkeiten beschränkt sind. Die verschlossenen Türen senken mit anderen Worten den Unterhaltungswert der Stadt spürbar. Das ist aus wirtschaftlicher Sicht fatal, denn wie gesagt: die Leute kommen nicht wegen der Kultur, sondern wegen dem Bedürfnis nach Unterhaltung nach Friedrichstadt.

Rosen-Huus Friedrichstadt das Phänomen der geschlossenen Türen

Selbstverständlich ist das Rosen-Huus in jedem Bereich Teil des Problems.

Es wäre naiv zu glauben, mit Appellen und Überzeugungsarbeit könnte man an dieser Situation etwas ändern. Die Stadt leidet – wie in anderen Lebensbereichen auch – an einem strukturellen Problem:

(Nicht nur) Aus touristischer Sicht ist Friedrichstadt ein Nebenschauplatz. Die Musik spielt an anderen Orten. Das ist nicht abwertend gemeint. Im Gegenteil, genau diese Randlage hat auch wichtige Vorteile: Die vergleichsweise niedrigen Preise für Immobilien zum Beispiel.

Genau dies entwickelt sich aber zum Problem, denn es zieht die falschen Leute an. Zumindest, wenn man den Standort zukunftsfähig gestalten möchte.

Nach Friedrichstadt ziehen nämlich kaum Menschen, welche aus ihrem Leben etwas machen wollen, sondern solche, welche bereits auf mindestens ein halbes Leben zurückblicken können und danach trachten, eben dieses zurückzulassen. Zumindest den auszerrenden Teil.

Und die Voraussetzungen sind hier ja auch günstig. Das Leben langsam, die Kosten tief. Genau das Richtige, um noch einmal ein Projekt zu starten, welches einem auch persönlich etwas bringt.

Nur junge Menschen haben nichts zu verlieren

In jüngeren Jahren hätten sie sich vielleicht mit Haut und Haaren eingebracht und sich für ihr Projekt aufgeopfert. Aber jetzt, das Zielband vor Augen, können und wollen sie nicht mehr alles riskieren. Außerdem sind es Leute, denen die Work-Life-Balance, die Selbstverwirklichung und die Sinnhaftigkeit ihres Tuns wichtiger sind ahttps://1621.sh/wp-content/uploads/2020/12/Rosen-Huus-Friedrichstadt.jpgls das Befriedigen der zum Teil wirklich stumpfsinnigen Bedürfnisse von Touristen.

Erschwerend kommt bei diesen Mitträgern des örtlichen Wirtschaftslebens hinzu, dass sie entweder über ein kleines Vermögen oder über Nebeneinkünfte verfügen. Wenn die Notwendigkeit fehlt, jedem Cent hinterherzulaufen, dann macht man das auch etwas weniger intensiv…

Die meisten scheitern, und zwar auf der ganzen Linie. Geschäftlich und privat. Denn mit halber Kraft unter widrigen Umständen ein Business aufzuziehen ist ebenso so eine Herausforderung, wie sich jenseits von 40 ein ähnliches Beziehungsfeld aufzubauen, wie in den zwanzig Jahren zuvor. Von den fehlenden Quellen kultureller und konsumistischer Verführung ganz zu schweigen.

Die Alteingesessenen haben dafür ein geflügeltes Wort: Wir haben schon viele kommen und gehen sehen.

Nun denn…

Zusammenfassung

  • Die oftmals verschlossenen Türen der Friedrichstädter Geschäfte sind kein Problem, sondern das Ergebnis der besonderen Struktur der lokalen Geschäftsbetreiber.
  • Das Ergebnis dieser Struktur ist, dass sich das Angebot in der Tendenz mehr nach den Bedürfnissen der Betreiber, dann nach den Gästen richtet.
  • Diese Struktur ist weder gut, noch schlecht, sondern einfach nur eine Gegebenheit, welche dazu führt, dass sich das hiesige Angebot von den üblichen Wertschöpfungsketten des Tourismus unterscheidet.
  • In Kombination zur eh schon gegebenen 2b Lage der Stadt, schränkt das die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Standortes massiv ein.
  • Jeder Versuch der Weiterentwicklung des lokalen Tourismus ist zum Scheitern verurteilt, wenn diese Grundvoraussetzung nicht berücksichtigt wird.

Fazit

Die Stadt täte gut daran, ihre Stadtmanagerin endlich auf das einzig richtige Ziel für so eine Position anzusetzen: junge Familien (vorzugsweise Freischaffende im digitalen Sektor) für Friedrichstadt zu gewinnen und ihnen den Start ins neue Leben so einfach wie möglich zu machen.

Dazu würde allerdings eine Politik gehören, welche nicht einseitig auf den Tourismus ausgerichtet ist, sondern den Aspekt des „Wohnens“ ein höheres Gewicht beimisst. Eine solche Politik würde von Weitblick zeugen. Denn damit entstünde nicht nur mehr Wohnraum für Friedrichstadt, sondern es würde indirekt auch dem Tourismus zugutekommen.

Das Friedrichstädter Flaschenhals-Problem

Warum? Weil jeder Ausbau des Tourismus bedingt, dass es dazu die passenden Mitarbeiter*innen gibt. Gutes und qualifiziertes Personal in der Stadt zu finden ist das spielentscheidende Flaschenhalsproblem. Woher sollen diese Menschen kommen und wo genau sollen sie wohnen?

Ohne den passenden Wohnraum ist ein erfolgreicher Ausbau des Tourismus deshalb pure Illusion. Es schränkt die weitere Stadtentwicklung wesentlich ein und führt im Endeffekt dazu, dass die Überalterung von Friedrichstadt weiter zunimmt.

Vielleicht sehe ich das Ganze aber auch einfach etwas zu einseitig. Vielleicht geht es den Verantwortlichen im Rathaus ja auch nur darum, weitere Billigarbeitsplätze zu schaffen… Ist ein legitimes Ziel. Allerdings sollte man dann auch offen dafür stehen. Und man sollte sich dazu bekennen, dass man damit den Trend unterstützt, jugendliche Erwachsene in Richtung Süden zu verabschieden.

 

Hinweis:

Dieser Beitrag ist Teil einer kleinen Serie, in welchem ich auf die schwierige oder besser gesagt, besondere Saison 2020 zurückblicke, um daraus Rückschlüsse zu ziehen.

Bisher erschienen sind:

Corona Blues
Corona sei Dank
Friedrichstadt ist tot
Zwei Strategien gegen die Leere
Die verschlossenen Türen von Friedrichstadt