Geschäftsmodell Tourismus (Persönliche Schlussfolgerung)
Experten sind kein Ersatz für die eigene Verantwortung.
In den vergangenen Wochen habe ich versucht, den Tourismusstandort Friedrichstadt zu analysieren. Dabei habe ich eigentlich nur Bekanntes aufgegriffen und aus einem anderen Blickwinkel betrachtet. Ist es nicht interessant, wie unterschiedlich man Dinge sehen kann? Wie kommt ein Experte für Tourismus bei gleicher Datenlage auf ganz andere Schlüsse, wie ein zugereister Laie? Und wer hat nun recht?
Wo endet Wahrheit und wo beginnt Rechthaberei?
Es gibt keine Wahrheit. Zugegeben, es gibt Daten, die sind fundiert und es gibt Zahlen, welche etwas gar weit hergeholt scheinen. Wenn man sich aber auf eine bestimmte Datenbasis geeinigt hat, dann wird das mit der Wahrheit eben relativ. Alles eine Frage der persönlichen Sichtweise. Die alte „Glas voll oder leer“ Geschichte.
Wie also komme ich als Zugereister auf die Idee den Eingesessenen mitzuteilen, dass sie alles falsch machen (was ich so natürlich gar nicht gemacht habe, was man aber so lesen konnte, wenn man denn wollte)? Weil ich irgendwo auch ein „Experte“ bin. Natürlich nicht in Fragen des Tourismus. Ich bin Unternehmerberater. Von Fremdenverkehr und Gastronomie habe ich keine Ahnung. Ich habe eine Idee davon, weil ich verschiedene Hotels und Restaurants konzeptionell beraten habe. Aber ein Experte bin ich deshalb noch lange nicht.
DIE EXPERTEN:
Da drinnen hocken sie,
Zahlen im Kopf,
Bazillen im Herzen.
Alles pulverisieren sie –
Gott, Geist und Goethe
nach Wilhelm Busch
Leute beauftragen mich, weil sie sich im Detail verlieren. Weil sie jemanden brauchen, der die Dinge zusammenfügt, ihnen Struktur verleiht und sie dann zusammenhält. Darin bin ich der „Experte“. Aber das fachliche Know-how, das kann ich nicht liefern. Da bin ich auf die Mitarbeit meiner Mandanten angewiesen. Wenn ich also eine Auslegeordnung erstelle, dann nicht um mich damit wichtig zu machen, sondern um die Dinge mithilfe meiner Mandanten wieder richtig zusammenzufügen. Alleine schaffe ich das nicht. Zumindest nicht richtig.
Nicht immer führt eine Auslegeordnung zu massiver Kritik oder einem vernichtenden Urteil. Manche Dinge laufen auch ohne den Einbezug eines „Experten“ ganz ordentlich. Während andere gerade darunter leiden, dass man sich Hilfe von außen geholt hat … Genau deshalb warne ich vor einer Experten-Gläubigkeit. Es ist immer ein Vorteil, wenn sich Mandanten offen, aber kritisch gegenüber ihren Experten zeigen. Wahrheit und Deutungshoheit wollen erkämpft sein.
Deformation professionell
Die Stadt Friedrichstadt, der Tourismusverein, das Gewerbe sind nicht meine Mandanten. Ich werde also nicht bezahlt. Weshalb habe ich mich trotzdem an diese Auslegeordnung gemacht? Nennen Sie es Deformation professionell. Ich konnte nicht anders. Die Stadt liegt mir am Herzen. Aber es gibt hier viele Widersprüche. Darum haben meine KollegInnen und ich uns schon seit zwei Jahren mit der Stadt beschäftigen und viele Informationen zusammentragen.
Betrachtet man den Gesamtorganismus der Stadt, sieht man Dinge die gut laufen und solche, die weniger gut funktionieren. Entscheidend ist aber, wie der Gesamtkörper performt. In meiner Analyse bin ich zum Meinung gelangt, dass diese Performance nicht befriedigend ist und dass man Dinge ändern sollte. Zu diesem Ergebnis ist die Stadt auch ohne meine Hilfe gekommen. Deshalb man vermutlich den „Masterplan Tourismus“ in Auftrag gegeben hat. Der Unterschied der verschiedenen Sichtweise ist, dass die eine Analyse zum Schluss kommt, dass etwas fehlt. Ich bin der Meinung, dass alles Notwendige vorhanden ist. Man müsste die Möglichkeiten nur richtig nutzen.
Eigentum verpflichtet. Manchmal
Der eigentliche Anlass, sich über die Stadt und den örtlichen Tourismus Gedanken zu machen, liefert jedoch unser Haus am Markt 22. Wir sind der Überzeugung, mit dem Kauf der Immobilie auch Verantwortung übernommen zu haben. Nicht nur in Bezug auf die Historie des Gebäudes, sondern auch hinsichtlich des Tourismus. Ein Geschäftshaus an dieser Lage muss eine touristische Funktion haben. Schließlich ist es Teil jenes Aushängeschildes, mit dem die Stadt wirbt und von dem sie lebt.
In den vergangenen zwei Jahren haben wir unser Haus deshalb nicht nur Stück für Stück renoviert, sondern uns auch überlegt, was wir mit dem Laden tun könnten, damit die Stadt und ihre Bürger davon profitieren. Dazu diente die Analyse. Die Auslegeordnung hilft ein Geschäftsmodell zu entwickeln, welches einigermaßen trägt und welches in der Lage ist Friedrichstadt zu einem besseren Ort zu machen. Zumindest für Touristen.
Schlechtreden bringt auch keine Lösung
Vermutlich haben Sie bei der Lektüre meiner Beiträge über das Geschäftsmodell Tourismus gedacht, es sei einfach, als hochnäsiger Oberlehrer alles schlecht zu reden und besser zu wissen. Kann ich verstehen. Auch wenn mich das in meiner Ehre als „Experte“ natürlich etwas kränkt … Aber darum geht es bei einer Auslegeordnung nicht. Es geht nicht darum mit dem Finger auf Versager zu zeigen, sondern um das Ganze zu verstehen. Warum reichen 400.000 Tagesgäste nicht aus, um die Betriebe auskömmlich am Leben zu erhalten?
Weil der Organismus nicht harmoniert und unzureichend auf die Anforderungen der Umgebung (Erwartungen des Marktes) ausgerichtet ist. Daran werden auch zusätzliche Fun & Leisure Zonen und ein kleiner hübscher Laden nichts ändern. Das sind lediglich Elemente der Symptombekämpfung. Unternehmer/innen sollten das nicht tun. Steuerzahler/innen es nicht zulassen.
Viel billiger und vor allem zielführend wäre, wenn wir nach einem geeigneten Zahnrädchen suchen würden, um die verschiedenen (bereits vorhandenen) Teile des Ganzen, zu einer funktionierenden Einheit zu verbinden und die Maschine dann in die richtige Richtung zu leiten.
Menschen lieben Geschichten
Persönlich glaube ich, dass das Zahnrädchen, welches wir brauchen, kein Produkt ist. Was Friedrichstadt fehlt, ist eine Geschichte, die freudige Erwartungen schafft. Wie ich schon deutlich gemacht habe, ist die historische Geschichte zwar dafür verantwortlich, dass eine große Zahl an Menschen in die Stadt kommt. Das Thema ist aber „relativ schnellt abgefrühstückt“ (ich verspreche, dass ich diesen Satz nun nicht mehr zitieren werde) und weckt keine tieferen Emotionen. Die Gäste sind im Urlaub, wollen Spaß, Unterhaltung und sich wohlfühlen. Die Geschichte, welche wir suchen, muss genau diese Bedürfnisse ansprechen.
Ein roter Faden für Tagestouristen
Wir glauben, dass wir eine solche Geschichte gefunden haben. Wenn wir im Frühsommer unsere Laden am Markt 22 eröffnen werden, soll dort das erste Kapitel erzählt werden. Aber es soll nicht unsere Geschichte sein. Wir sind deshalb schon seit ein paar Monaten dabei, das Notwendige vorzubereiten, damit andere unseren Erzählfaden aufgreifen und für sich nutzen können. Nicht unverbindlich (denn wir erwarten wertige Eigenbeiträge), aber kostenlos und jeder Menge kostenfreier Unterstützung.
Wenn wir genug für die Idee begeistern können, werden wir auch die Gäste begeistern. Und das nicht nur in einem oder zwei Läden, sondern flächendeckend. Den der Erzählfaden wird zum roten Faden für die Tagestouristen, welcher sie sanft, aber bestimmt durch die ganze Stadt führen wird. Von Laden zu Laden, von Café zu Café. Beste Unterhaltung halt.
Mehr über den neuen roten Faden der Stadt erfahren Sie in einem der kommenden Beiträge.
Das sind meine wichtigsten Experten-Empfehlungen (Zusammenfassung)
- Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für Friedrichstadt. Deshalb muss man ihm ein besonderes Augenmerk widmen.
- Dabei geht es aber weniger um Wachstum, sondern um die Steigerung der Erträge. Denn man lebt nicht vom Umsatz, sondern vom Ertrag.
- Den Ertrag steigert man am besten, indem sich die bestehenden Angebote an die tatsächlichen Bedürfnisse der der Kunden ausrichten. Statt auf Kultur zu setzen, wäre eine Fokussierung auf Unterhaltung und Vergnügen hilfreich.
- Eine Ertragssteigerung würde allen Beteiligten helfen, ohne damit die Bedürfnisse der Bewohner negativ zu tangieren.
- Tourismus ist als Wirtschaftsfaktor wichtig. Wichtiger wäre es allerdings, andere Bereiche mit mehr Attraktivität in Bezug auf Ertrag, berufliche Entwicklung, Gehaltsmöglichkeiten und persönliche Perspektive zu fördern. Nur so kann den eigentlichen Problemen von Friedrichstadt – der Entvölkerung und der Überalterung wirkungsvoll entgegengetreten werden.