Folge 1:
Die Zielsetzung
Keine Zeit oder einfach gerade lesefaul? Hier die Zusammenfassung des nachfolgenden Textes: Bevor ein Geschäftsmodell – in diesem Fall das Geschäftsmodell Tourismus – beurteilt werden kann, muss man sich mit den konkreten Zielsetzungen der Betreiber auseinandersetzen. Der Autor zweifelt daran, dass es eine sinnvolle Zielsetzung für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt vorliegt. Er befürchtet, dass die beauftragten Experten unter diesen Bedingungen zu viel Handlungsspielraum bekommen und die Vorschläge nicht zwingend im Sinne der Allgemeinheit sein müssen. Nur konkrete Vorgaben, mit objektiv messbaren Zielsetzungen können das verhindern.
Ziele können nur erreicht werden, wenn sie zuvor festgelegt wurden. Je früher und konkreter das Ziel definiert wird, desto effizienter kann man es ansteuern. Das gilt nicht nur für die Wahl der Route. Auch unterwegs ist es hilfreich zu wissen, wohin die Reise gehen soll. Denn nur so ist es möglich, die Notwendigkeit von Korrekturen rechtzeitig zu erkennen und entsprechende Anpassungen vorzunehmen. Aus diesem Grunde beginne ich die Bewertung eines Geschäftsmodells normalerweise mit der Frage nach der konkreten Zielsetzung.
An einer fehlerhaften Zielsetzung freut sich nur die Beraterbranche
Berater wie ich verdienen viel Geld damit, dass es Unternehmer, Beamte und die Politik es unterlassen, dieser einfachen Regel zu folgen: kein Projekt ohne klare Zielsetzung. Das führt nämlich in schöner Regelmäßigkeit dazu, dass Projekte aus dem Ruder laufen. In der Regel dann, wenn das budgetierte Geld eigentlich schon ausgegeben ist.
Wer seine Projekte nicht richtig ausrichtet, führt und Abweichungen rasch korrigiert, wird dafür bestraft. In der Privatwirtschaft werden die Verantwortlichen, also letztlich die Eigentümer, für solche Fehler zu Kasse gebeten. Bei der öffentlichen Hand zahlt der Steuerzahler für die Unfähigkeit der Verantwortlichen. Das ist bequem für die Projektverantwortlichen, aber schlecht für die Steuerzahler.
Wenn Projekte sich verselbstständigen
Überbordende Kosten, ja ein vorzeitiger Übungsabbruch sind aber nicht die einzigen Probleme, welche bei einer fehlenden oder ungenügend formulierten Zielsetzung entstehen können. Beinahe schlimmer sind Ergebnisse, welche kostenmäßig vielleicht sogar im Plan liegen, aber der Gemeinschaft keinen Nutzen bringen. Ganz einfach deshalb, weil man den beauftragten Experten erlaubt hat, eigene Ziele zu entwickeln. Ziele, welche nicht selten an der Lebenswirklichkeit oder den Bedürfnissen von Bürgern, Nutzern und Kunden vorbeigehen.
Die bekanntesten Vertreter dieser Kategorie entstammen dem Bausektor. Die Politik definiert ein zu allgemeines Ziel und die beauftragten Architekten entwickeln darauf basierend eigene Ideen. Am Ende steht ein Haus mit eingeschränktem Nutzen, weil die Verantwortlichen es verpasst haben, die Vorgaben bis ins Detail zu formulieren und durchzusetzen. Jeder von uns kennt solche Bauten. Bei der Eröffnung werden sie gerne mit großen Worten gefeiert („Meilenstein“, „Leuchtturm“, etc.). In der Praxis aber nur eingeschränkt oder erst nach teuren Zusatzinvestitionen wirklich nutzbar.
Laien können Profis nur über präzise Vorgaben führen
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich politische Behörden aus Laien zusammensetzen. Es ist darum nahezu unmöglich, dass sie das notwendige Expertenwissen aufbringen, um alle Lösungen im Detail beurteilen zu können. Umso wichtiger ist es, den Experten eine Zielsetzung mit klaren Aufgabenstellungen und ebenso klaren Rahmenbedingungen zu nennen. An diesen können, nein müssen sich die hinzugezogenen Experten orientieren. Dass dies auch tatsächlich geschieht, liegt in der politischen Verantwortung der Behördenvertreter.
Ist diese Vorarbeit im Zusammenhang mit dem Masterplan-Tourismus ausreichend geleistet worden? Nach der Durchsicht der Protokolle des „Ausschuss Wirtschaft und Tourismus“ schrillen bei mir alle Alarmglocken. Grund dafür ist eine Bemerkung von Tourismusexperte Kai Ziesemer vom 14.3.17:
„Ferner sind die früheren Zielsetzungen aus ehemaligen Konzepten gesichtet worden. Hier wäre eine Neuordnung und Vereinfachung anzustreben.“
Das klingt ganz und gar nicht nach einer klaren Zielsetzung. Im Gegenteil: Zielsetzungen können und müssen sich im Verlaufe der Zeit ändern. Ganz einfach deshalb, weil sich die Welt verändert. Und weil man dazulernt. Deshalb gilt gerade bei „allgemeinen“ Projekten: kontrollieren, hinterfragen, anpassen. Unterlässt man dies, wird das Projekt womöglich von der Zeit überholt, bevor es zur Gänze umgesetzt wurde.
Die Zielsetzung darf nicht starr sein, sondern muss sich der Entwicklung anpassen
Zielsetzungen sollten glasklar formuliert werden. Sie dürfen jedoch nicht in Stein gemeißelt sein. Erkennt man einen Anpassungsbedarf, ist unverzüglich zu handeln, um Fehlentwicklungen zu stoppen und den Aufwand für die Umstellung tief zu halten. Nach der Anpassung sind die ursprünglichen Vorgaben jedoch Geschichte. Sie haben keinerlei Bedeutung mehr.
Es besteht der Verdacht, dass dies in diesem Fall nicht so gehandhabt wird. Es besteht weiter die begründete Vermutung, dass gar keine klare Zielsetzung besteht. Sollte dem so sein, wäre das hoch fahrlässig.
Bottom Up oder Top Down
Neben einer offenbar mangelhaften Vorgabe gibt es noch etwas anderes am Vorgehen beim „Masterplan Tourismus“ zu bemängeln: Stadt Friedrichstadt ist kein Tourismusunternehmen. Entsprechend würde ich vorschlagen, dass die Zielsetzungen des „Ausschuss Wirtschaft und Tourismus“ nicht auf eine wirtschaftliche Monokultur hinauslaufen.
Der Stadt kann es doch im Grunde völlig egal sein, wie sie ihre Ziele erreicht. Entscheidend ist, dass es möglichst sicher, rasch und kostengünstig geschieht. Deshalb sollte man sich nicht durch eine Top Down Strategie mögliche Alternativen verbauen, sondern sich mittels Bottom Up möglichst lange alle Möglichkeiten offen halten. Das klingt komplizierter als es ist.
Top Down: Ich weiß, welchen Sektor ich wählen will (etwa, weil ich ein Tourismusunternehmen führe) und suche innerhalb dieses Bereiches den optimalen Zugang zu meinem Ziel.
Bottom Up: Ich prüfe, welche Bereiche für die Lösung meines Problems geeignet sind und suche unter der Vielzahl der Möglichkeiten jene aus, welche mir am sinnvollsten erscheint. Das kann (in unserem Fall) unter Umständen auch der Tourismus sein. Das ist aber nicht zwingend (wie wir in einer späteren Folge sehen werden).
Keine Frage: Die Bottom Up Strategie der Lösungsfindung ist aufwendiger, weil es mehr Variablen gibt. Aber sie verspricht im Gegenzug das bestmögliche Ergebnis, statt einfach ein Ergebnis (das theoretisch auch das beste sein könnte).
Konkretes Beispiel
Sie wollen ein Auto für vier Personen, welches so schnell als möglich von A nach B fahren kann.
Top Down: Sie sind fixiert auf Lada. Sie schauen sich die vier verfügbaren Modelle an und entscheiden sich für den Lada Vesta mit einer Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h.
Bottom Up: Sie sondieren den Markt und finden im Wesentlichen 15 verschiedene Marken. Nach weiteren Abklärungen kommen Sie zur Überzeugung, dass BMW die richtige Lösung bietet und entscheiden sich für einen BMW M5 F90 mit einer überzeugenden Spitzengeschwindigkeit von 330 km/h.
Natürlich fließen bei einem Autokauf nicht nur eine absurde Vorgabe, wie die Spitzengeschwindigkeit ein, sondern viele verschiedene. Entsprechend wichtig ist es darum, dass die gewünschten Parameter möglichst breit und klar festgelegt werden. Je breiter die Palette der Vorgaben, desto größer der Vorteil des Bottom Up Ansatzes.
Konkrete Ziele, welche die Stadt weiterbringen
Hinsichtlich der wirtschaftlichen Ausrichtung und Weiterentwicklung von Friedrichstadt wäre es deshalb sinnvoll konkrete Zielsetzungen zu machen, die nicht ausschließlich etwas mit dem Tourismus zu tun haben. Schließlich gibt es zum Tourismus valable Alternativen, welche man sich nicht verbauen sollte.
Hier einige willkürliche Beispiele für Ziele, welche für eine klamme Stadt mit schlechter Altersstruktur Sinn ergeben könnten:
- Verdopplung der Zahl der Ausbildungsplätze
- Verdopplung der Zahl der Ausbildungsberufe
- Anhebung des durchschnittlichen Bruttoeinkommens auf die Höhe von 90% des nationalen Durchschnitts
- Steigerung der Gewerbesteuer um 10%
- Senkung des Leerbestandes am Gewerbeimmobilien um 20%
- Stabilisierung oder Senkung des Durchschnittsalters aller Bürger
- Erhöhung der Schülerzahl um 5%
- Neuansiedlung von mindestens 5 Betrieben in Friedrichstadt
- Erhöhung der Zahl der Beschäftigten in Friedrichstadt um 5%
- Senkung der Zahl der Sozialhilfebezüger um 10%
Dies alles sind Faktoren, welche die Stadt konkret betreffen und an deren positiven Entwicklung sie eigentlich ein Interesse haben müsste. Es sind Werte, die messbar sind und bei denen man am Ende objektiv sagen kann, ob sich die Situation verbessert hat oder nicht. Es sind Werte, welche eine Entscheidungsgrundlage bieten, ob sich eine Investition rechnet oder nicht.
Bei allgemeinen, weichen Forderungen – „der Tourismusstandort Friedrichstadt soll gestärkt werden“ – ist hingeben keine verlässliche Erfolgskontrolle möglich. Je nachdem welche Interessen hinter einer Auswertung stehen, wird das Ziel entweder erreicht („2% mehr Besucher!“) oder verpasst („hinter der Entwicklung des Gesamtmarktes zurückgeblieben!“). Außerdem wird nie klar sein, ob sich die Investitionen am Ende rechnen.
Solche Konzepte kann man sich schenken.
Das Wohlbefinden der Bürger hängt von weichen Faktoren ab
Weiche Faktoren sind trotzdem wichtig. Nicht als Ziele, sondern um die Rahmenbedingungen zu definieren. So hat jede Form von Wirtschaft auch negative Aspekte: Verkehr, Lärm, Umweltverschmutzung, Zerstörung von Lebensraum, etc. Weil weiche Faktoren nicht objektiv messbar sind, eignen sie sich nicht zur konkreten Zieldefinition. Sie bilden jedoch die Rahmenbedingungen, unter welchen die Ziele erreicht werden sollen. Im Grunde geht es darum, welchen Preis man für den Erfolg zu zahlen bereit ist. Und welchen nicht.
Es ist an der Zeit, dass Friedrichstadt zu diesen Themen Gedanken macht. Offen und ehrlich. Eine breite Diskussion – gerne auch im Rahmen des Wettbewerbs „Zukunftsstadt“ – muss geführt werden. Ansonsten wird die Stadt wie ein Nasenbär durch die Arena gezogen und vorgeführt. Oder wie man auch sagen könnte: „relativ schnell abgefrühstückt“!