Schuldenwirtschaft

Die Wende am Zinsmarkt hat viele Menschen auf dem falschen Fuß erwischt. Betroffen vom Zinsanstieg sind aber nicht nur Bauwillige, sondern auch Kommunen, welche für die Erschließung von Neubaugebieten in Vorleistung gehen und nun fürchten müssen, sich mit ihrer Kalkulation verzockt zu haben. Hier auf 1621.sh wollen wir uns in einer dreiteiligen Serie mit der Frage beschäftigen, welche Folgen das für das geplante Neubaugebiet am Schlickkoog in Friedrichstadt hat.

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1. Teil: Ein abschreckendes Beispiel

Viöl – Ein Fingerzeig zur Zinswende und ihre Folgen

Konnte man sich noch vor kurzer Zeit Geld quasi für lau leihen, sind nun plötzlich wieder echte Zinszahlungen fällig. Zwar sind diese im historischen Vergleich noch nicht besonders hoch. Aber eben doch viel höher als man es nach dem langen Zinstief gewohnt war. Entscheidender als der Zinsfuß ist jedoch die Höhe der tatsächlich fälligen Zinszahlungen. Diese bewegen sich wegen des hohen Finanzierungsbedarfes inzwischen in luftiger Höhe.

Von den Verwerfungen auf dem Zinsmarkt wurden nicht nur Privatpersonen überrascht. Auch die Politik war auf diese Entwicklung nicht vorbereitet. Letztere hält sogar heute noch in weiten Teilen an der Vorstellung fest, man könne begonnene Projekte fortführen, als sei nichts Wesentliches geschehen. Dies gilt insbesondere bei jenen Geschäften, in denen bei Entscheidungsprozessen irgendwelche übergeordnete Ziele zur Glaubensfrage erklärt und Fakten deshalb eher weniger berücksichtigt werden.

Lernen am Beispiel

Auch beim Friedrichstädter Neubaugebiet am Schlickkoog wird man das Gefühl nicht los, das Ergebnis der Plausibilitätsprüfung sei von Beginn an bekannt gewesen.

Dieses Projekt steht allerdings erst am Anfang. Deshalb soll an dieser Stelle mit dem Neubaugebiet „Möhlmanns Land“ in Viöl ein anderes Beispiel betrachtet werden. Eines, das vergleichbar, aber deutlich weiter fortgeschritten ist. Wir werden sehen, zu welchen Aus- und Nebenwirkungen die Zinswende hier geführt hat.

Viöl ist ein ländlicher Zentralort mit überregionaler Bedeutung für die Versorgung im Amt Viöl und befindet sich mit seinen 2200 Einwohnern in derselben Gewichtsklasse wie unsere Stadt. Allerdings sind die Voraussetzungen in Viöl deutlich besser, denn bei dem inzwischen erschlossenen Baugebiet steht außer Frage, dass es für diesen Zweck geeignet ist.

Große Nachfrage nach dem Baugrund in Viöl

Rückblick. Ende 2020, bzw. im Frühjahr 2021 befinden wir uns auf der Höhe des Baubooms. Deshalb ist es nicht erstaunlich, dass die Nachfrage nach den Baugrundstücken in Viöl riesig war: Den 63 Bauplätzen standen rund doppelt so viele Bewerbungen gegenüber.

Private Verkäufer würden in solchen Fällen ein Bieterverfahren starten, um damit den Preis in die Höhe zu treiben. Kommunen haben bei ihren Projekten aber nicht nur finanzielle Interessen im Auge, sondern verfolgen die bereits erwähnten höheren Ziele. Solche Ziele können sein

  • möglichst günstigen Wohnraum für möglichst viele Menschen zu schaffen
  • junge Familien im Ort anzusiedeln
  • zu verhindern, dass Einheimische mangels Möglichkeiten wegziehen
  • Besserverdienende in die Kommune zu holen

Eine Verlosung für die Chancengleichheit

Um diesen Zielen gerecht zu werden, entschlossen sich die Verantwortlichen in Viöl dazu, die 63 Grundstücke für freistehende Einfamilien-, Doppel-, Reihen- und Mehrfamilienhäuser zu verlosen. Übrigens zu einem Fixpreis von 115 € pro Quadratmeter.

Diese Verlosung fand am 9. September des vergangenen Jahres statt. Inzwischen hat sich einiges getan: Erst verknappten sich das Baumaterial und die Fertigungskapazitäten dramatisch, dann stieg die Inflation überraschend stark an. Um die Inflation im Zaum zu halten, erhöhten einzelne Notenbanken außerhalb des EURO-Raumes die Zinsen, was wiederum zur Folge hatte, dass die Hypothekarzinsen in Erwartung weiterer Zinsschritte in Bewegung gerieten.

Und dann kam der unnötigste und vermutlich dümmste aller Kriege.

Rückzüge auf breiter Front

So kommt es, dass die Häuslebauer von Viöl inzwischen konstatieren, dass ihre ursprünglichen Planungsgrundlagen mit der aktuellen Situation nicht mehr viel gemein haben:

  • Die Baukosten werden vermutlich höher als ursprünglich gedacht
  • Eine rasche Umsetzung des Bauvorhabens gestaltet sich schwierig, weil die Kapazitäten das Bausektors weitgehend belegt sind
  • Die Finanzierungskosten explodieren geradezu, da wir wegen der Ausgangslage (Zinsen knapp über dem Nullpunkt) eine Vervielfachung der Zinslasten sehen
  • Banken gehen bei der Kreditvergabe spürbar strenger vor, was zu höheren Eigenkapitalanforderungen bzw. zu einer Reduktion des Kreditvolumens führt.

Fachleute überraschte es deshalb nicht, dass in der SHZ vom 25.8.2022 ein Artikel unter folgender Überschrift erschien: Risiken zu hoch: Auch im Neubaugebiet Viöl geben viele Bauwillige ihre Pläne auf.

Offenbar ist von der ursprünglich doppelten Überzeichnung nicht mehr viel übrig. Gemäß dem Artikel sind vielmehr 15 Parzellen immer noch unverkauft. Die Projektmanager seien jedoch zuversichtlich, dass diese noch zeitnah verkauft werden können. Genau für solche Aussagen werden Vermarkter ja auch bezahlt… Unabhängig davon, ob dies nun tatsächlich der Realität entspricht oder doch vielleicht etwas beschönigt dargestellt wurde: Tatsache ist, dass man von einem Rückgang der Interessenten von rund 60% sprechen muss. Und dies zu einem Zeitpunkt, da die Rahmenbedingungen zwar deutlich schwieriger, aber noch keinesfalls katastrophal sind.

Die Zinsen steigen weiter

Am 8.9.2022 beschloss die EZB, dass die Leitzinsen um spektakuläre 0,75% erhöht werden. Auch sonst sind die Aussichten düster. Die Preise steigen ungebremst weiter. Die Energieversorgung des Landes gibt Anlass zur Sorge. Viele Branchen ächzen unter dieser Entwicklung und es besteht die Gefahr, ja es ist wahrscheinlich, dass viele Betriebe dieser Entwicklung früher oder später Tribut zollen werden. Bereits heute scheint gewiss, dass wir Wohlstandsverluste in Kauf nehmen müssen.

Jetzt ins Risiko zu gehen, sich zu verschulden, das eigene und vor allem das fremde Geld in überteuertes Wohneigentum zu investieren, dürfte weiter stark abnehmen. Und das ganz zu Recht.

Für öffentliche Neubauprojekte, wie jenes in Viöl, bedeutet dies, dass die Kommunen in ein unkalkulierbares Risiko gehen. Dass sie hinsichtlich der Erschließungskosten in Vorleistung gehen und dabei riskieren, womöglich auf den Kosten ganz oder teilweise sitzen zu bleiben. Wenn sie diese Investitionen nicht aus den Rücklagen finanzieren konnten (was bei unserem Viöler Beispiel nicht der Fall ist), werden sie auch bei den Finanzierungskosten eine böse Überraschung erleben. Was dies für die betreffenden Kommunen (aber auch für die Häuslebauer) bedeutet, werden wir im zweiten Teil dieser Reihe beleuchten.

Kurzfassung

Auf der Höhe des Baubooms hat sich auch die nordfriesische Gemeinde Viöl dazu entschlossen, ein Neubaugebiet zu erschließen. Die Nachfrage war so hoch, dass man ein ausgeklügeltes Losverfahren entwickelte, um allen Ansprüchen fair gerecht zu werden.
 
Nach der erfolgten Zinswende hat sich gezeigt, dass der Bauboom in erster Linie den historisch tiefen Zinsen geschuldet war. Ohne die Möglichkeit, sich quasi zum Nulltarif zu verschulden, brach das Interesse massiv ein. War das Projekt zu Beginn doppelt überzeichnet, sind heute wieder Bauplätze zu haben. Dies ist ein deutlicher Fingerzeig. Besonders Neubaugebiete in 2b-Lage dürften jetzt große Schwierigkeiten bei der Vermarktung der Bauplätze bekommen.