Corona Lockdown oder Novemberblues?

Friedrichstadt ist tot!

Wir befinden uns immer noch im Saisonrückblick 2020. Was ist gut und was ist weniger gut gelaufen? Wo könnten sich die Gewerbebetreibenden* für 2021 etwas vornehmen und weshalb ist das nicht schon längst geschehen? Macht es überhaupt Sinn, sich Gedanken darüber zu machen? Dieser Beitrag handelt von Gemeinsamkeiten, Solidarität und dem Willen zur Zusammenarbeit. Und von der Frage: Ist Friedrichstadt tot? Spoiler: Ja! Zumindest im November.

Tun wir einmal so, als wäre das Wirtschaftsjahr 2020 abgehakt. Vorbei. Erledigt. Weit weg von der Realität ist das für viele Betriebe wohl nicht. Ob das Weihnachtsgeschäft noch das bringt, was man in früheren Jahren erwartet hat, steht in den Sternen. Alles hängt von der Frage ab, ob wir uns von Corona die Laune verderben lassen oder nicht.

Friedrichstadt wird missverstanden – oder der große Sturm in kleinem Wasserglas

Überhaupt: Corona. Über allem schwebt der Virus Covid-19 und seine Mutanten aus Dänemark. Die Saison hat unter der dem Eindruck der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie begonnen und sie endet auch damit. Wie wir uns als Gemeinschaft mit dieser Herausforderung geschlagen haben, zeigt die Berichterstattung der Husumer Nachrichten in geradezu rührender Art und Weise:​

 

3. November 2020

Corona in Friedrichstadt:
Geschäftsleute: „Für uns kommt die Maskenpflicht zu spät“

Kernbotschaft: Eine Maskenpflicht in Friedrichstadts Einkaufsmeilen (!) ist sinnlos, weil die meisten inhabergeführten Betriebe eh Urlaub machen und die Stadt deshalb mausetot ist.

6. November 2020

Corona in Nordfriesland:
Friedrichstadt wehrt sich gegen Behauptung, dass kaum Läden offen haben

Kernbotschaft: Alles falsch! Die inhabergeführten Betriebe machen mitnichten Urlaub, sondern tun alles um sich den schwierigen Zeiten entgegenzustellen und ihre Kunden auch unter schwierigen Bedingungen zu bedienen. Alles wird gut, denn wir von der Stadt haben alles unter Kontrolle. Es gibt sogar eine Webseite mit Öffnungszeiten. EINE WEBSEITE!

Friedrichstadt wehrt sich gegen Behauptung, dass kaum Läden offen haben

Kernbotschaft: Alles falsch! Die inhabergeführten Betriebe machen mitnichten Urlaub, sondern tun alles um sich den schwierigen Zeiten entgegenzustellen und ihre Kunden auch unter schwierigen Bedingungen zu bedienen. Alles wird gut, denn wir von der Stadt haben alles unter Kontrolle. Es gibt sogar eine Webseite mit Öffnungszeiten. EINE WEBSEITE!

Bei dieser Gelegenheit möchte ich der Husumer Nachrichten für ihre großartige Recherchearbeit danken. Ihre Bemühungen, ihre Informationen immer aus allererster Quelle zu beschaffen, ist bewegt mich jedes Mal zutiefst.

Ich fasse zusammen: Ein Kollege gibt ein markiges Urteil über die Gesamtsituation ab – ohne sich zuvor mit anderen Gewerbebetreibenden abgesprochen, ja vermutlich, ohne sich zuvor überhaupt informiert zu haben. Die Empörung ist groß und beinahe verständlich.

Drei Tage später die Reaktion: Zwei Expertinnen, welche mit beiden Füßen fest im täglichen Geschäft des Gewerbes verwurzelt sind, geben ein nicht minder kompetentes Statement ab, welches genau in die Gegenrichtung weist.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich der Husumer Nachrichten für ihre großartige Recherchearbeit danken. Ihre Bemühungen, sich Informationen immer aus allererster Quelle zu beschaffen, ist bewegt mich jedes Mal zutiefst.

Friedrichstadt ist tot – wer ist der Mörder?

In diesem Beitrag soll es aber nicht um Medienkritik gehen. Eigentlich auch nicht um die Frage, ob es stimmt, dass Friedrichstadt tot ist oder ob sich der Patient noch gegen das unvermeidliche wehrt. Ich habe dieses amüsante Scharmützel nur deshalb erwähnt, weil es so wunderbar für das steht, was in Friedrichstadt in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung falsch läuft.

  • Es fehlt an einer glaubwürdigen Analyse des Problems
  • Wunschdenken prägt das Handeln („Was nicht sein darf, kann nicht sein“)
  • Es fehlt nicht nur der Wille, sondern auch ein realistischer Plan die Situation zu verändern

Es ist ein häufig beobachtetes Phänomen, dass es den Friedrichstädtern offensichtlich schwerfällt, sich mit den Ursachen eines Problems zu beschäftigen, bzw. diese zu benennen. Man rüttelt nicht gerne an den Mythen der eigenen Existenz.

Die Probleme sind benannt – man müsste sie nur zur Kenntnis nehmen

Wohl deshalb erarbeitet man sich nicht selbst Ideen und Konzepte, sondern vergibt für teures Geld Studienaufträge an externe Planungsbüros. Doch da beißt sich die Katze jeweils in den Schwanz: Denn um aus solchen Studien die richtigen Rückschlüsse zu machen, müsste man diese selbst studieren. Das ist aufwendig und es würde bedeuten, dass man sich mit der womöglich unvoreingenommenen Analyse von Menschen auseinandersetzen müsste, welche kein gesteigertes Interesse an fremden Mythen haben.

Einfach ist es da natürlich, wenn man sich darauf beschränkt, einer launigen Präsentation des Studienleiters zu folgen und nur die prägnanten Investitionsvorschläge aufzunehmen… Nun, gerade beim Masterplan Tourismus hätte man aber auch einige andere interessante Informationen aufnehmen können. Wenn es denn gewünscht gewesen wäre.

Zurück zur traurigen Situation der Einkaufmeile im November

Zumindest für die Analyse der Situation der Innenstadt im November braucht es kein Planungsbüro: Ja, Friedrichstadt ist tot. Dabei dürfte es nur eine unwesentliche Rolle spielen, ob die Geschäftsinhaber die Stellung halten, im Urlaub weilen oder aus anderen Gründen geschlossen haben (etwa, weil es sich nicht rechnet). Denn das Problem liegt weniger auf der Angebotsseite, sondern bei der Nachfrage.

Der beklagte Leerstand in den Geschäftslokalen der Innenstadt ist nur zum Teil die Folge davon, dass die Stadt ihre Seele dem Tourismus verkauft hat. Genau genommen waren es weder die Stadtverordneten noch die Geschäftsleute, welche dafür gesorgt haben, dass ein Ladensterben eingesetzt hat. Es waren die Friedrichstädter. Die haben sich – einem internationalen Trend folgend – entschieden, den kleinen Läden um die Ecke den Rücken zu kehren und stattdessen ihre Einkäufe in der Peripherie, in Husum oder Heide zu tätigen. Dort gibt es mehr Auswahl, billigere Preise und vor allem kann man mit dem Auto hinfahren. Gerade in Schleswig-Holstein immer ein Argument.

Wir sehen: Es gibt gute Gründe, weshalb die Innenstadt im November nicht belebt ist. Diese Gründe sind weitgehend hausgemacht, bzw. der globalen Entwicklung hin zu Shoppingcenter und Supermärkten geschuldet. Wenn also die auswärtige Kundschaft ausbleibt (was in einem Sommerferienort jetzt nicht so außergewöhnlich ist) und die Nachfrage der Einheimischen begrenzt ist, fehlt den Straßen von Friedrichstadt das Entscheidende Element, belebt zu wirken: Kunden.

„Im Gegenteil“, sagt Christiane Möller-von Lübcke, „gerade unter Corona-Bedingungen geben die meisten unserer inhabergeführten Geschäfte derzeit alles, um ihre Läden auch außerhalb der Saison offen zu halten.“

Zitat aus shz.de (Ausgabe 6.11.2020)

Die Frösche in der Milch

Zwei Frösche hüpften in einen Milchtopf und ließen es sich schmecken. Sie tranken und schmatzen bis sie nicht mehr durstig waren. Als sie wieder heraus wollten, schwammen sie zum Rand des Kruges. Doch der Rand hatte sich zu weit entfernt und sie rutschen an der glatten Wand immer wieder ab. Sie strampelten viele Stunden lang, aber alle Mühen schienen vergeblich. Schließlich waren sie so erschöpft, dass sie ihre Beine kaum noch bewegen konnten. Da meinte der eine Frosch: “Was hilft es, wenn wir uns plagen. Es ist aus!” Damit ließ er sich zu Boden sinken und ertrank. Der zweite Frosch gab jedoch die Hoffnung nicht auf. Er schwamm und strampelte die ganze Nacht weiter. Als es endlich Morgen wurde und die Sonne in die Kammer schien, saß der Frosch auf einem Butterklumpen. Er nahm all seine Kraft zusammen, sprang aus dem Krug und war gerettet.

Man kann das Ganze also auch anders sehen.

Gehen wir einmal einen Moment davon aus, dass die Bürgermeisterin sich nicht einfach nur in dem üblichen Bullshit-Bingo geübt hat, welchem sich hochstehende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus unerklärlichen Gründen immer verpflichtet fühlen. Dann hätte sie im Prinzip gesagt: Alles nicht wahr, die Geschäftsinhaber geben sich große Mühe. Corona verhindert halt leider, dass es besser läuft.

Das Ganze erinnert ein wenig an die beiden Frösche, welche in den Milchtopf gefallen sind (siehe Fenster).

Tatsache aber ist: In einer kleinen Stadt mit schwindendem Zentralitätsfaktor kann der einzelne Frosch in der Milchschale so lange strampeln, wie er will. Realistisch gesehen, wird es keine Butter geben. Allein auf sich gestellt, kann der / die einzelne Gewerbetreibende strukturelle Probleme nicht lösen. In einem solchen Umfeld geht der/die Einzelne unter.

Ohne Round Table wird es nicht gehen

Genau das ist der Grund, weshalb ich immer wieder verlange, dass das Gewerbe miteinander reden muss. Und um jedes Missverständnis auszuräumen: Ich meine Arbeitsgespräche. Also eine Art Round Table, an welchem gänzlich uneitel Erfahrungsaustausch betrieben wird. Gespräche, in denen man sich nicht versucht gegenseitig zu beeindrucken, sondern bei denen Probleme auf den Tisch kommen und Lösungen gesucht werden.

Eines dürfte aber so oder so klar sein: Die Zeit der sechziger und siebziger Jahre kommt nicht wieder. Die strukturellen Veränderungen im Einkaufsverhalten der Menschen lassen sich allein mit formalen Maßnahmen (Stichwort Kernöffnungszeiten) nicht kompensieren. Gefragt ist eine Anpassung des Geschäftsmodells der City of Friedrichstadt. Nur so kann auch im November, Januar und Februar so etwas wie Leben in die Einkaufsstraße einkehren. Doch solange jeder für sich hin wurstelt, sollte man sich nicht darüber wundern, wenn es von außen so aussieht, als wäre Friedrichstadt tot. Es kommt der Sache ehrlicherweise ziemlich nahe.

Hinweis:

Dieser Beitrag ist Teil einer kleinen Serie, in welchem ich auf die schwierige oder besser gesagt, besondere Saison 2020 zurückblicke, um daraus Rückschlüsse zu ziehen.

Bisher erschienen sind:

Corona Blues
Corona sei Dank
Friedrichstadt ist tot
Zwei Strategien gegen die Leere
Die verschlossenen Türen von Friedrichstadt