1621 Vermögensfragen

Die Börse im Rausch der Tiefe – was kommt danach?

Die internationalen Börsen erleben gerade einen Rausch der Tiefe. Der Absturz der Börsenkurse ist atemberaubend. So hat Dax® hat aktuell einen Stand erreicht, welcher er zuletzt im Jahr 2016 innehielt. Wenn man davon ausgeht, dass wir dazwischen vier hervorragende Börsenjahre hatten, ist das schon ziemlich beeindruckend. Wie geht es weiter? Ist die Krise von Dauer? Bieten sich den Anlegern nun günstige Einstiegskurse? Dieser Beitrag liefert die Antwort auf alle diese Fragen!

Um die hoch gesteckten Erwartungen gleich wieder in die richtige Bahn zu leiten: Nein, ich kann nicht in die Zukunft sehen und entsprechend bin ich auch nicht in der Lage, diese Fragen verlässlich richtig zu beantworten. Ich kann Ihnen als Privatanleger oder Privatanlegerin jedoch einen allgemeinverbindlichen Weg weisen, wie Sie sich in dieser Situation verhalten sollten.

An dieser Stelle muss ich darauf hinweisen, dass allgemeinverbindliche Aussagen im Einzelfall keine Bedeutung haben und dieser Beitrag keine Anlageempfehlung beinhalten! Denn wenn ich das nicht tue, kann ich von Anlegern, der Bürgermeisterin oder der Stadt verklagt werden.

Aktienkurse fallen nicht vom Himmel

Zuerst müssen wir einmal verstehen, wie ein Aktienkurs entsteht. Anders als die meisten Laien vermuten, basiert ein bestimmter Preis nämlich nicht auf Willkür und geldgeilem Wahnsinn, sondern auf einer gewissen Logik: Man kann den fairen Preis einer Aktie nämlich berechnen.

Im Prinzip betrachtet man dabei eine Aktie wie eine Anleihe. Es gibt eine Laufzeit (Haltedauer) und einen kalkulatorischen Zins (Marktzins + Risikoprämie). Was es jedoch nicht gibt, sind Garantien (deshalb Risikoprämie) und eine Rückzahlung. Diese erfolgt durch den Verkauf der Beteiligung an der Börse. Anders als bei einer Anleihe wird auch kein fester Zins ausbezahlt, sondern eine Gewinnbeteiligung gewährt. Diese wird entweder ausbezahlt (Dividende) oder in der Firma angesammelt (Wertsteigerung).

Der Preis der Aktie bemisst sich deshalb an der erwarteten, zukünftigen Gewinnbeteiligung.

Beispiel:

Ich bin bereit 10 Jahre auf mein Geld ganz oder teilweise zu verzichten.

In dieser Zeit macht eine Firma 100 EUR Gewinn pro Anteil.

Würde ich 100 EUR für einen solchen Anteil bezahlen, wäre der Preis also nach 10 Jahren durch die Gewinnanteile getilgt.

Was bei obigem Beispiel noch fehlt, ist die Verzinsung des Kapitals. Genau genommen beinhalten die 100 EUR Gewinnanteil nämlich nicht nur meine Anfangsinvestition, sondern auch meinen Zins. Dieser Zins ist variabel. Er hängt vom allgemeinen Zinsniveau risikoloser Anlagen (Bundesanleihen) und einem individuellen Risikoaufschlag ab. Je mehr Risiko, desto höher der kalkulatorische Zins. Jetzt rechnet man rückwärts (man diskontiert). Dabei geht es um die Frage, wie hoch die Investition sein darf, damit ich bei gegebenem Zinssatz nach zehn Jahren 100 EUR erhalte.

Beispiel:

Laufzeit: 10 Jahre

Endsumme: 100 EUR

Kalkulatorischer Zinssatz: 9%

Wir sehen also, dass der Preis der Aktie unter den gegebenen Umständen 46,04 EUR beträgt.

Komplexe Formel – fragile Sicherheit

In Wirklichkeit ist die Berechnungsformel natürlich sehr viel komplexer, aber das Beispiel soll veranschaulichen, wie ein Aktienkurs zustande kommt. Die Formel ist sogar derart komplex, dass ich davon ausgehe, dass die meisten „Experten“ der Meinung sind, so eine Art Gottesformel in der Hand zu halten. Dem ist aber nicht so.

Denn innerhalb dieser Formel gibt es Faktoren (Parameter) welche weitgehend willkürlich sind. Sie stellen Erwartungen dar. Erwartungen sind jedoch von Emotionen getrübt. Bin ich frisch verliebt, sehe ich die Welt durch eine rosa Brille. Meine Erwartungen sind also positiv gefärbt.

Hatte ich gerade eine negative Krebsprognose, dürfte der Glaube an eine positive Zukunft etwas weniger ausgeprägt sein.

Zurück in der Realität

Genau dies erleben wir im Moment. Die Akteure an der Börse sehen ganz viele Probleme auf sich zukommen. Die meisten dieser Probleme gab es zwar schon vorher, aber man war frisch verliebt und wollte sie einfach nicht sehen. Deshalb sind die Kurse gestiegen, weil man daran geglaubt hat, dass auch die Gewinne steigen würden.

Nun, da das Coronavirus einigen Branchen arg zusetzt, da der Streit zwischen Saudis und Russland dazu führt, dass die Ölpreise sinken (und damit einen wichtigen Industriezweig in den USA quasi in den Abgrund stürzt), ist der Liebestaumel vorbei. Nun sehen die Anleger, dass die Gewinne wohl nicht mehr steigen, sondern im Gegenteil sinken werden. Sie sehen nun die anderen Gefahren und suchen förmlich nach weiteren Problemen. Das führt dazu, dass die Gewinnerwartungen negativ betrachtet werden. Entsprechend sinkt nicht nur der zu erwartende Endbetrag (in unserem Beispiel nach zehn Jahren), die Anleger erwarten für das zusätzliche Risiko einen Aufschlag beim kalkulatorischen Zins. Beides drückt den Preis für die Anfangsinvestition (also den aktuellen Kurswert der Aktie).

Gerade weil diese beiden Erwartungen (Gewinnentwicklung, Risikoeinschätzung) emotional sind, kann niemand wirklich sagen, wie lange der Rausch der Tiefe andauert und wann der Boden erreicht ist. Je mehr schlechte Nachrichten (wahr oder unwahr) auf die Anleger einprasseln, desto tiefer werden die Kurse schlussendlich geprügelt.

Was bedeutet dies für den Privatanleger?

Unsere Gesellschaft tut so, als würde die Welt von der Börse und den Aktienkursen abhängen. Dem ist nicht so. Das Leben geht weiter, ganz egal was die Verrückten auf dem Parkett so machen. Wir sollten uns also nicht so sehr auf das Tagesgeschehen konzentrieren, sondern auf das große Ganze blicken.

Die aktuelle Baisse an der Börse ist nichts anderes wie eine Korrektur vorangegangener Übertreibungen. Während 11 Jahren kannte die Kursentwicklung der Aktien praktisch nur eine Richtung. Das war nicht zuletzt eine Folge der Politik des billigen Geldes. Solange die Notenbanken Unmengen an Geld zum Nulltarif in den Markt drückten, wussten die Anleger nichts Besseres damit zu tun, als in Sachwerte (Immobilien) und in Aktien zu investieren. Die Nachfrage nach diesen Gütern nahm stärker zu, als die Menge wuchs. Deshalb verzichteten die Investoren zunehmend auf ihre Zinserwartung und waren bereit, das Geld länger investiert zu lassen. Weil man sich die zukünftigen Gewinne schönrechnete, hatten wir die letzten Jahre an den Märkten Mondpreise.

Das Coronavirus hat diese Fantasien vorerst zerstört und damit eine längst fällige Korrektur eingeleitet. Das ist heilsam und damit grundsätzlich gut und richtig.

Unters Kopfkissen legen und vergessen

Der wegen seinem sympathischen Auftreten und seinen eloquenten Sprüchen bei Privatanlegern so beliebte Börsen-Guru André Kostolany hat folgende Weisheit geprägt:

Kaufen Sie Aktien, nehmen Sie Schlaftabletten und schauen Sie die Papiere nicht mehr an. Nach vielen Jahren werden Sie sehen: Sie sind reich.

Diese Aussage ist im Prinzip natürlich korrekt, denn sie sagt nichts anderes, als dass man darauf vertrauen kann, dass eine Firma das Ziel hat Gewinne zu machen. Und solange sie Gewinne macht, werden die Aktien im Wert steigen.

Trotzdem interpretieren viele Privatanleger diesen Spruch falsch. Halten um jeden Preis ist keine Strategie. Kleinanleger, welche um die Jahrhundertwende in die Telekom oder die Deutsche Bank investiert haben, warten wohl noch immer darauf, dass ihre Einstiegkurse wieder erreicht werden. Ganz abgesehen von jenen Werten, welche sich ganz von der Börse verabschiedet haben, weil sie in Konkurs gingen.

Tatsächlich ist es ZWINGEND notwendig, die Verluste von Aktien (Fonds, ETF) durch dynamische Verkaufslimiten zu begrenzen. Beispiel: Fällt der Kurs einer Aktie um 10% wird der Verkauf automatisch ausgelöst (Stopp Loss). Wenn sich der Markt wieder beruhigt hat, kann man jederzeit einen Wiedereinstieg in Erwägung ziehen – falls es nicht eine attraktivere Variante gibt.

Sollten Sie nicht wissen, wie man eine solche Absicherung auf Ihrem Depot vornimmt, dann kommen Sie einfach zu uns ins Rosen-Huus und ich werde es Ihnen zeigen. Kostenlos und ohne das Risiko, von mir in irgend etwas aufgequatsch zu bekommen.

Leider hängen aber viele Privatanleger viel zu emotional an ihren Werten. Deshalb verpassen sie regelmäßig die Gelegenheit ihre Gewinne zu sichern oder die Verluste zu begrenzen-

Ganz unabhängig davon dürften die meisten Anleger inzwischen den Punkt verpasst haben, wo es einzig und alleine darum ging Gewinne zu sichern. Trotzdem sollten Sie sich überlegen, ob Sie sich mit ihren Aktien im Moment nicht lieber eine Atempause gönnen. Ganz egal, ob sie jetzt einen Gewinn oder einen Verlust in den Büchern stehen haben.

Der Rausch der Tiefe geht vorbei

Natürlich weiß niemand von uns, wann die Aktien ihren Boden gefunden haben. Das hängt nicht zuletzt davon ab, wie sich die Pandemie um das Coronavirus entwickelt und welche Konsequenzen die Krisenbewältigung für den zunehmend protektionistischen Welthandel haben wird.

Ich empfehle meinen Kunden aktuell, dass sie ihre Mittel bereithalten, um bei passender Gelegenheit wieder in den Markt einzusteigen.  Wenn wir dabei nicht ganz genau den Tiefpunkt erwischen, ist das nicht schlimm. Investiert wird erst wieder, wenn wir eine relativ hohe Sicherheit haben, dass die Kurse wieder ansteigen. Wie stark sie wieder nach oben gehen werden, kann niemand sagen. Aber André Kostolany hat mit seinem Urvertrauen in die Prinzipien der Wirtschaft recht: Betriebe müssen Gewinne einfahren, sonst können sie auf Dauer nicht überleben.

Wenn wir daran zweifeln, dass Firmen zukünftig noch Gewinne erwirtschaften, müssten wir konsequenterweise die Systemfrage stellen. Wird es das kapitalistische Wirtschaftssystem, mit Arbeitnehmern, Steuerzahler und den sozialen Errungenschaften (Rentenversicherung, Krankenversicherung, etc.) in Zukunft noch geben? Wenn sie diese Frage für sich mit einem „Nein!“ beantworten, sollten sie Aktien und Geldwerte meiden und Ihr Geld zukünftig in Kaffeebohnen, Land oder andere Sachwerte investieren.

Für alle anderen gilt: Die Aktien werden auch in Zukunft performen. Vielleicht nicht so stark wie in den letzten Jahren, aber zuverlässig. Für die bietet sich demnächst eine relativ sichere Einstiegsmöglichkeit. Nicht heute und vermutlich auch nicht in den nächsten Tagen. Aber schon in wenigen Monaten, wenn die Angst und die Unsicherheit gewichen sind, werden die Aktien selbst dann Boden gewinnen, wenn die Aussichten eher trübe sind. Denn wenn man weiß, wie die Aussichten sind, lässt sich ein fairer Aktienkurs tatsächlich berechnen. Gift ist nur das Unbekannte.

 

 

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