Kommentar
War es richtig, die Insolvenz der Bürgermeisterin zu thematisieren?
Gestern Abend wurde ich gefragt, ob ich meinen Schritt, die Insolvenz der Bürgermeisterin zu thematisieren bereuen würde. Darauf konnte ich keine zufriedenstellende Antwort geben. Mit einem Tag Abstand ist das kein Problem mehr: Nein, ich bereue es nicht. Würde es aber nicht noch einmal machen. Ein Widerspruch?
Nicht wirklich.
Inhaltlich – und darauf komme ich noch zu sprechen – war es richtig. Was ich völlig falsch eingeschätzt habe, war die Reaktion. Nun glauben Sie nicht, dass es die Ablehnung der großen Zahl der Leser war, welche mich irritiert hat. Es war, dass die Menschen das Gefühl hatten, man würde im tiefsten Privatleben der Bürgermeisterin wühlen. Das ist für mich intellektuell nachzuvollziehen, weil in diesem Land Fjodor Dostojewskis Meisterwerk mit „Schuld und Sühne“ betitelt wird (bzw. wurde), während das russische Original und die französischen, bzw. englischen Übersetzungen ohne Moral daherkommen. Es ist eine deutsche Wesensart, gewisse Dinge mit einer moralischen Schuld zu belasten.
Zitat Wikipedia
Der russische Originaltitel des Romans, Prestuplenije i nakasanie (Преступление и наказание), lässt sich nicht exakt ins Deutsche übertragen. Der geläufigste Übersetzungstitel Schuld und Sühne trifft mit seiner stark moralischen Orientierung jedoch nicht die russischen Termini, die eher aus dem juristischen Sprachgebrauch stammen. Genauer ist die Übersetzung als Verbrechen und Strafe, die aber wiederum den durchaus vorhandenen ethischen Gehalt der russischen Begriffe nicht ganz erfasst. Dieser Titel wurde nach Alexander Eliasberg 1921 unter anderem von Swetlana Geier in ihrer viel beachteten Neuübersetzung von 1994 verwendet, als mögliche Alternativen nennt Geier die Worte Übertretung und Zurechtweisung. In anderen Sprachen wie dem Englischen, Französischen, Spanischen und Polnischen wurde dagegen der Titel Verbrechen und Strafe schon immer bevorzugt verwendet (Crime and punishment, Crime et châtiment, Crimen y castigo bzw. Zbrodnia i kara). Im Rumänischen wurde der Titel Mord und Strafe (Crimă şi pedeapsă) verwendet. Der Roman wurde im Deutschen teilweise auch unter dem Namen seiner Hauptfigur, Rodion Raskolnikow, herausgegeben.
Kein Grund in Sack und Asche zu gehen
Gefühlsmäßig kann ich es nicht verstehen. Aber akzeptieren. Deshalb würde ich diesen Beitrag nicht mehr so publizieren. Trotzdem habe ich keinen Grund in Sack und Asche zu gehen.
Dafür hat auch die Bürgermeisterin selbst gesorgt. Sie hat nämlich inzwischen erklärt, wie es zu dieser Insolvenz gekommen ist. Der Grund ist völlig irrelevant, weil er in eine Kategorie fällt, welcher in keinem Widerspruch zu ihrer Funktion steht. Es war klug von ihr, in die Offensive zu gehen. Mehr kann ich dazu natürlich nicht sagen, ohne mich dem Verdacht auszusetzen, damit unlautere Absichten zu verfolgen.
Offene Kommunikation lohnt sich
Meine ganz persönlichen Erfahrungen mit solchen Situationen – und Sie dürfen mir glauben, ich habe darin mehr als genug Erfahrung – ist, dass man unangenehme Punkte immer sofort und auf eigener Initiative aufs Tapet bringt. Das ist zwar nicht immer angenehmen, aber es erleichtert das Leben schon nach kurzer Zeit ganz wesentlich.
Warum ich den Beitrag veröffentlichte
Jetzt, wo ich nicht in Gefahr gerate Schlamm aufzuwühlen, möchte ich Ihnen darlegen, weshalb mir die Frage der Insolvenz so wichtig war, dass ich es riskiert habe, auf eine Wand der Ablehnung zu stoßen.
Mir ging es keine Sekunde darum, die Insolvenz als Ausschlusskriterium für ein Bürgermeisteramt zu sehen. Eine Insolvenz ist für mich keinesfalls mit einem gesellschaftlicher Makel verbunden (persönlich ist das natürlich etwas anderes, weil er meistens damit zusammenhängt, dass man ein Ziel nicht nur nicht erreicht hat, sondern sogar gescheitert ist) . Wer gewillt war das zu erkennen, konnte es an mehr als einer Stelle lesen. Es war überdeutlich formuliert.
Mir ging es darum, dass eine Insolvenz aus gutem Grund keine Privatveranstaltung ist. Bei einer Insolvenz gibt es immer eine Gegenpartei, welche dabei real verliert. Je nach Umstand bedeutet dieser Verlust den Ruin der Gläubiger und den Verlust von Arbeitsplätzen und persönlicher Perspektive.
Während eine gut organisierte Insolvenz dafür sorgt, dass der Schuldner nach einigen Jahren schuldenfrei und ohne Sorgen im Leben steht, gilt das u.U. für die Menschen, welche ihre Lebensexistenz verloren haben, nicht. Wer schon einmal mit 55 Jahren arbeitslos geworden ist, weiß wovon ich spreche.*
Das Gemeinwesen gehört in untadelige Hände
Ich persönlich möchte nicht, dass ein Gemeinwesen von einer Person angeführt wird, welche sich vor der Verantwortung drückt, indem sie rücksichtslos andere für ihre Fehler bezahlen lässt.
Aus diesem Grunde bereue ich es auch nicht, das Thema aufgeworfen zu haben und meinen Preis dafür zu bezahlen.
Ganz nebenbei habe ich übrigens weniger die Bürgermeisterin, sondern die Stadtverordnetenversammlung angegriffen. Denn bei allem Verständnis für Kollegialität und Zusammenarbeit, ist es deren Aufgabe solche Dinge zu prüfen. Nicht an der Öffentlichkeit, sondern im kleinen, geschlossenen Kreis.
Ich könnte mich jetzt für den verursachten Wirbel entschuldigen, aber das wäre eine billige Geste. Denn wie gesagt, ich bereue es inhaltlich ja nicht. Ich freue mich aber, dass die Situation geklärt ist und bin mir sicher, die Bürgermeisterin hat dadurch sogar ein Stück Freiheit gewonnen. Sie ist wieder Herrin ihres eigenen Rufes.
Naja: es ist nun nicht so, dass ich jetzt darauf stolz wäre. Soweit geht meine Verblendung dann doch nicht.
Epilog
Wer austeilt, muss auch einstecken können. Deshalb werden hier auf 1621.sh alle Kommentare freigeschaltet, solange sie mit dem eigenen Namen unterzeichnet werden. Also auch jene, welche sich hart, überhart und nicht zwingend objektiv und fair äußern.
Ich lasse mich sogar bis zu einem gewissen Masse beschimpfen. Wenn’s gut tut… (Bei anderen AutorInnen würde ich das aber nicht zulassen!)
Jenen Kommentatorinnen, welche sich in diesem Falle besonders betroffen fühlten, habe ich sogar persönlich zurückgeschrieben. Ob das wirklich was auslöst oder nicht ist nicht der entscheidende Punkt. Wichtig ist, dass man nach einem Disput die Brücken des Dialogs stehen lässt.
Ach ja: Woher ich komme und wer ich bin, sollte eigentlich inhaltlich keine Rolle spielen. Finden Sie nicht auch? Irgendwann werde ich über das Mayflower-Syndrom einen Beitrag schreiben.
*Ich finde es übrigens interessant, dass kein einziger der Kommendatoren diesen Aspekt gewürdigt hat. Die eigentlichen Opfer einer Insolvenz sind nicht die Schuldner, sondern die Gläubiger! Um deren private Schicksale kümmert sich kein Mensch… Selber schuld! Pech gehabt!