Meinung

Ein Gewissen ist unbezahlbar. Für alles andere gibt’s die Mastercard*

Das Corona Virus hat dem eigentlichen Problem unserer Generation, die dramatische Umweltproblematik, etwas die Show gestohlen. Noch vor wenigen Monaten war die Betroffenheit bezüglich der sich abzeichnenden Klimakatastrophe in aller Munde. Nicht erstaunlich also, dass es viele Firmen gab und gibt, welche sich mit ihrem Einsatz für die Umwelt schmücken. Dass dies auch ziemlich perverse Züge annehmen kann, zeigt nachfolgendes Beispiel.

Kuckuck! Kuckuck! Kuckuck!

Vor ein paar Tagen bin ich früh am Morgen von einem Kuckuck geweckt worden. Das ist eigentlich nichts Besonderes, weil mein Huawei Smartphone, mit welchem ich mich jeweils wecken lasse, genau diesen Klingelton beinhaltet. Allerdings verzichte ich in der Regel auf Töne, denn meine Lieblingsfrau mag es nicht so, wenn ich meine Klingeltöne über einen Zeitraum von einer Stunde immer wieder erklingen lasse. Deshalb wenn immer möglich arbeitet mein Wecker im Vibrationsmodus.

Der Huawei Kuckuck nervt

An diesem Morgen war er aber offensichtlich nicht stumm, sondern penetrant laut und lies sich trotz intensiver Bemühungen – ich habe diese Blindtechnik inzwischen ziemlich gekonnt verfeinert – nicht abstellen. Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass dieser Kuckuck echt war. So echt wie die ganze Vogelschar, welche ebenfalls bemüht war, einen Heidenrabatz zu veranstalten. Als ich das realisierte, war ich wieder glücklich und schlief ein. Denn wir lieben unsere Vögel und ihren Sound, welcher unser Zuhause umgibt. Wir – also vor allem Carola – tun auch viel, dass sich das Geflügel bei uns wohl fühlt. Wir bieten Wohnraum mit Badezimmer im Flur, wir füttern und wir lassen einen guten Teil unseres Gartens so, dass sich die Tiere dort noch zuhause fühlen können. Inklusive Insekten, Igel, Hasen und was sonst noch so alles in Frage kommt.

Andere Menschen haben entweder nicht ganz so viel Glück mit ihrer häuslichen Umgebung oder sie sind zu faul, um einen anständigen Garten zu pflegen. Steingärten mögen in Japan dazu dienen, die eigene spirituellen Mitte zu finden. In Deutschland sind sie einfach nur eine Ausgeburt der grassierenden Überforderung mit dem Alltag. Vögel mögen sie auf jeden Fall nicht. Vermutlich ist das in Japan nicht anders.

Weil den Menschen die Nähe zur Natur also aus Gründen der Bequemlichkeit immer mehr abhandenkommt (das gilt übrigens auch für Innenstädte); weil ihnen die eigene Katze lieber ist, wie die fremden Vögel), fehlt ihnen offensichtlich irgendetwas zum Glück. Konkret: der beruhigende Sound der Natur.

Das Dümmste seit der Erfindung des Lachsacks

Aus diesem Grunde findet das Dümmste, was der Mensch seit dem Lachsack erfunden hat, offensichtlich reißenden Absatz: die Zwitscherbox®

Die Zwitscherbox® ist ein handliches Stück Sondermüll, welches auf Knopfdruck beruhigendes Vogelgezwitscher von sich gibt. Etwas, das eigentlich kein Mensch braucht, dass aber vermutlich von Marktschreiern in der Erfindergasse der Auer Dult für unverzichtbar erklärt wird. Denn es beruhigt, schafft ein Gefühl von innerer Ruhe und führt einen zurück zu den Ursprüngen des Menschlichen Lebens: Zur Natur!

Genau diese Natur gilt es zu schützen, denn sonst verschwindet der Kuckuck ganz aus unserem Leben und wir sind gezwungen, noch mehr Zwitscherboxen® (das ist jetzt markentechnisch natürlich nicht ganz richtig) zu kaufen. Das will natürlich kein Mensch und schon gar nicht der geniale Erfinder dieses Gottesgeschenkes.

1% for the planet

Denn die Natur ist ihm und seinen vielen Verkäufern und Käufern wichtig. Deshalb spendet er ein Prozent seines Umsatzes an Organisationen, welche dafür sorgen, dass die Folgen seines Treibens wieder korrigiert werden. Denn wie gesagt: Die Zwitscherbox® ist einfach nur unnötiger Schrott, welcher bei der Produktion, dem Betrieb und der Entsorgung eine einzige Belastung für die Umwelt darstellt.

Ob die 1% Umsatzabgabe an Umweltorganisationen, von denen vermutlich ein guter Teil wieder in der Administration derselben verloren gehen, ausreichen die verursachten Schäden auch nur im Ansatz auszugleichen, ist eigentlich unwichtig. Schäden, welche solcher Müll entstehen lässt, ist nämlich nicht wiedergutzumachen. Wir sollten uns von dieser Idee verabschieden. Ablasshandel hat schon zu Zeiten Luthers nicht funktioniert. Bei der Umwelt geht das schon gar nicht. Definitiv nicht.

Wenn schon sündigen, dann bitte ohne Heuchelei

Niemand ist in Sachen Umwelt ohne Sünde. Der Schreibende schon gar nicht. Wenn wir aber schon keine Rücksicht auf die Natur nehmen, sollten wir unseren Frevel nicht noch dadurch toppen, dass wir so tun, als könnten wir mit dem Shit, den wir produzieren, die Umwelt tatsächlich schützen.

Die Herstellerfirma verbreitete folgende Behauptung:

Kuckuck Zwitscherbox

Dies ist ein Screenshot der Homepage von Relaxound GmbH, der Vertreiberin der Zwitscherbox(r)

Diese Behauptung ist falsch. Hier versucht der Kuckuck dem Konsumenten ein Ei ins Nest zu legen, dass dort nicht hingehört. Die Zwitscherbox® ist im Gegenteil eine ernstzunehmende Umweltbelastung. Und wenn sie sich ein solches Teil kaufen, tun sich vielleicht etwas Gutes (?), aber ganz sicher nicht der Umwelt.

Geben Sie dem echten Kuckuck eine Chance

Statt sich einen batteriebetriebenen Elektroschrott ins Haus zu stellen, den Sie schon nach wenigen Wochen und Monaten weder hören noch hören wollen, gönnen Sie sich einen beruhigenden Waldspaziergang. Dort gibt es mit etwas Glück noch Vögel. Wegen den besagten Hauskatzen, der Landwirtschaft und grassierenden Seuchen zwar immer weniger, aber es gibt sie noch. Genießen Sie inmitten von Grün das Gezwitscher der Vögel im Bewusstsein, danach keinen Obolus für die Beruhigung Ihres Gewissens leisten zu müssen. Ich verspreche Ihnen, dass nahezu 100% des eingesparten Geldes der Natur zugutekommt. Garantiert!


Nachtrag

Bei meiner Kritik geht es nicht um die Initiative 1% for the Planet. Ich habe mir persönlich darüber keine Meinung gebildet, ob dieses Projekt Sinn macht oder nicht. Grundsätzlich bin ich aber der Meinung, dass nur Verzicht hilft. Der Ablasshandel ist nicht der richtige Weg, die Dinge ins Lot zu bringen.

* Es wird vermutlich nicht das letzte Mal sein, dass ich diesen Werbespruch zweckentfremde. Denn er steht dafür, dass wir glauben alles mit Geld regeln zu können. Oder noch besser mit der Mastercard. Was könnte passender sein, als die eigene Unverantwortlichkeit mit einer Kreditkarte bezahlen zu wollen. Sündige heute, bezahle morgen. Oder lass andere dafür bezahlen…