Eine surreale Nacht mit Dudelsack und zärtlichem Musenkuss
„Scotland the Brave“ als ich meinen Streifzug durch die Kulturnacht beginne. Willkommen in den Highlands von Friedrichstadt! Den pompösen musikalischen Auftakt bereiten die Hamburg Caledonian Pipes & Drums, die musizierend von der Prinzenstraße durch das Holländerstädtchen ziehen. „Amazing Grace“ mögen die Krähen indes nicht. Als die Dudelsackpfeifer den grünen Marktplatz durchschreiten, ergreifen die gefiederten schwarzen Gesellen lautstark die Flucht. Ein seltsamer Klang erfüllt kurz die Stadt. „Eintreten und die Kraft des Klanges spüren“ fällt mir dazu ein und ich denke an die Performance Klangkörper von Carola Batt-Michel im Rosen-Huus.
So eine Kulturnacht wird bestimmt anstrengend, also stärke ich mich zunächst einmal bei einem leckeren Flammkuchen „mit Pfifferlingen der Saison“ in den Holländischen Stuben. Den Kulturnacht-Flyer mit den Stationen vor mir liegend, entscheide ich mich spontan treiben zu lassen. Gemütlich schlendere ich also an der Mittelgracht entlang als ich aus der Ferne Musik höre. Das kann doch nur aus der Ehemaligen Synagoge kommen, also mache ich dort Halt. Tatsächlich spielt dort das Ensemble Holz & Blech mit Weltmusik „mal sanft, mal krachend“ auf.
Bei einem freundlichen jungen Mann, der die Kasse betreut, erstehe ich für 8 Euro ein orangenes Kulturnacht-Armbändchen, dass mir Einlass in sämtliche Veranstaltungen gewährt. Von „Bésame mucho“ begleitet, küsse ich diese herrliche milde Sommernacht und steuere die nächste Station an, den Kunstraum Naturkunst in der Westermarkstraße. Holla, da drin ist es ganz schön voll, also schaue ich mir die Skulpturen und „Fragmentagen“ von außen durch das Fenster an und nehme etwas Stadtgeschichte im Stadtmuseum Alte Münze mit auf meine Rundreise.
Ich wandere in die Prinzenstraße, wo ich das Krähenfenster erblicke. Nanu? Krähen hatten wir doch schon und der hell beleuchtete Galerieraum neben dem Offizine erscheint mir neu. An den Wänden entdecke ich großformatige naturalistisch gehaltene Werke der Dortmunder Künstlerin Bettina Köppeler neben den originellen Krähenuhr-Objekten des Friedrichstädter Künstlers Peter Herrmann. Den frage ich doch gleich einmal: „Das Krähenfenster ist eine einmalige Aktion, die wir nur für die Kulturnacht in diesem Raum installiert haben“ erklärt mir Hermann. Er ist ein „Freiburger Friedrichstädter“, den die Liebe zum Norden hierher verschlagen hat. Wie so viele Kreative der Stadt ein „Strandgut“ also, was keinesfalls despektierlich gemeint ist, ein Zugezogener eben.
Weiter geht’s durch die Nacht der schönen Künste, die Prinzenstraße entlang, vorbei an den Gitarrenklängen aus Ilses Boutique Schönes & Sinniges und Silkes SchuhParadies wo Lederdesigns nach Sattlerart von Horst Zimmer gezeigt werden. Auch hier ist es gerappelt voll, also entscheide ich mich, die Buchhandlung und Keramikwerkstatt im Fünf-Giebel-Haus von Doreen und Jan Stümpel zu besuchen, da ist es bestimmt etwas ruhiger. Doch von wegen! Ein dicht gedrängtes Publikum sinniert hier bei einem Glas Wein über die neuesten malerischen Arbeiten von Doreen Stümpel. „Grau ist das neue Bunt“, meint sie, recht hat sie – ihre Werke sind fröhlich und der Herbst wird bunt! Passt.
Etwas abstrakter sieht indes der Berliner Künstler Wolfgang Preuß die Welt und gewährt dem Kunstinteressierten im Paludanushaus einen Blick auf seine „gemalten Erzählungen“. Ihm kommt es nicht darauf an, etwas wiederzugeben was er sieht, sondern was er gesehen hat. Seine zumeist geometrisch angelegten Acrylbilder auf Holz besitzen etwas Meditatives, sie strahlen Ruhe aus und sind doch dynamisch. „Analoge Zeichenreihen“ fällt mir dazu ein. Etwas unglücklicher hängen die interessanten Linoldrucke des Witzworter Künstlers Bernhard Dockhorn im Paludanus. Sie kommen unter den schlechten Lichtverhältnissen in den Räumen nicht recht zur Geltung, wie ich meine. Besser aufgestellt ist hier der Maler Thomas Freund, der in seinen eigenen Galerieräumen am Stadtfeld lichterfüllte impressionistisch anmutende Landschaftsbilder in Öl präsentiert. Begleitet wird seine Werkschau von „kleinen Welten aus Glas“ der Kunsthandwerkerin Birgit Runte. Handwerklich geht es weiter im Tischlereimuseum Jacob Hansen in der Ostermarkstraße, hier wird die Drechselmaschine zur Kunstmaschine.
„Tender is the night – zärtlich ist die Nacht“, doch bei so vielen angeregten Gesprächen bemerke ich, dass sie zwar zärtlich, aber doch ziemlich kurz ist, mir läuft die Zeit weg und dabei gibt es noch so viel zu sehen und zu erleben. Diese Kulturnacht hat es in sich. Erneut spielen die Dudelsackpfeifer über den Grachten auf, die Lichter der Stadt spiegeln sich im Wasser. Am Horizont blitzt ein nahendes Gewitter und plötzlich bekommt diese Nacht etwas Surreales. „Die Gedanken sind frei“ fällt mir gerade ein, das Lied wurde an diesem Abend in der Katholischen Kirche St. Knud beim gemeinsamen Musizieren gesungen. Von Freiheit und Unbeschwertheit war auch diese zauberhafte Nacht in Friedrichstadt beseelt.
Ich bedanke mich bei allen Kreativen für dieses Arrangement der Sinne und des Übersinnlichen und entschuldige mich sogleich dass diese Zeilen nicht genügen, allen gerecht zu werden. In diesem Sinne freue ich mich auf die nächste Friedrichstädter Kulturnacht 2020.