Was wir aus der Corona-Krise lernen könnten
Aus der Corona-Krise können wir viel lernen. Etwa, dass es kein Expertenwissen benötigt, um einer völlig neuen Bedrohung Herr zu werden. Es reicht, mit ein paar Zahlen herum zu jonglieren, von denen man weder weiß, was sie bedeuten, in welchem Kontext sie stehen, wie sie zustande gekommen sind oder ob sie überhaupt eine fundamentale Basis haben. Das Einzige, was man dazu benötigt ist eine eigene Meinung. Cool!
Die besten Experten in diesen Tagen sind zweifellos jene, welche nie beweisen müssen, mit ihren Ideen, Vorschlägen und Forderungen recht zu haben. Welche keine Verantwortung tragen müssen, sondern lediglich etwas zur Stimmung beitragen wollen. Sollten Sie tatsächlich Recht behalten, dann können sie im Nachgang dezent darauf hinweisen, es schon immer gewusst zu haben. Wenn sie wider Erwarten nicht ganz richtig liegen sollten, ist es nie zu spät seine Meinung publikumswirksam zu ändern.
Für einige geht es bereits um die Wurst
Schwieriger ist die Lage für jene, welche von der Corona-Krise zwar betroffen sind, deren Fachwissen über das Covid-19 Virus ihnen aber nicht weiterhilft, diese zu bewältigen. Zum Beispiel die Gewerbetreibenden. Viele, aber längst nicht alle, haben ihre Aktivitäten inzwischen auf den Überlebens- auch Panikmodus umgestellt. Für Sie geht es nämlich tatsächlich um die Wurst. Dazu zählen in Friedrichstadt insbesondere die Gastronomie und andere Firmen, welche vom Tourismus abhängig sind.
Noch ist es natürlich zu früh, ein definitives Fazit zu ziehen. Die Saison befindet sich noch in ihren Anfängen und viele Betriebe wurden noch gar nicht mit voller Wucht getroffen. Einigen mag es – der Soforthilfe sei Dank – für den Moment sogar besser gehen, wie in Vergleichsperioden. So oder so gibt es keinen Anlass die Hände in den Schoß zu legen. Wir sollten unsere Situation genau analysieren und daraus lernen.
Friedrichstadt lebt nicht vom Tourismus
Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Friedrichstadt – keine Frage. Das Mantra, Friedrichstadt würde vom Tourismus leben, ist jedoch so plakativ wie falsch. Der Tourismus ist seit ein paar Wochen (eigentlich Monaten) tot und die Stadt lebt weiter. Warum?
Weil ein großer Teil des Geldes nicht aus dem Tourismus stammt, sondern von Transferzahlungen des Landes, der Rentenkasse und von Menschen, welche die Hausgeburten so gerne ins Pfefferland wünschen: den Zugezogenen (und deren Vermögen). Letztere sorgen mit ihren Investitionen dafür, dass die Auftragsbücher des Handwerks gut gefüllt sind.
Der Stadt würde es vermutlich noch besser gehen, wenn man mehr Gewerbe und Freischaffende hätte, welche nicht nur für den Binnenmarkt arbeiten, sondern die „Außenhandelsbilanz“ verbessern würde.
Die Stadt ist keine Hilfe
Die Hilflosigkeit der Stadt mit der Situation umzugehen, ist geradezu mit der Hand zu greifen. Sie manifestierte sich wohl am deutlichsten, als es darum ging die Veranstaltungen des Sommers abzusagen. Nicht nur, dass man diese Absage zum Schaden aller Beteiligten unnötige lange verzögert hat, es fehlt auch jede, noch so kleine Idee, wie man die damit zusammenhängenden Verluste an Aufmerksamkeit und Zuspruch kompensieren. Ein einziges Trauerspiel.
Eigentlich ist das nicht schlimm. Es böte sich sogar seitens der Stadt die Möglichkeit, ebenfalls daraus zu lernen: Etwa, dass es dem Rathaus an den notwendigen Fähigkeíten und Einfluss in wirtschaftlichen Belangen mangelt. Es ist auch nicht die Aufgabe der Politik, Angebote zu erbringen, Nachfrage zu schaffen und die Richtung der wirtschaftlichen Entwicklung zu bestimmen. In wirtschaftlichen Belangen sollte sie sich vielmehr darauf konzentrieren, für den Ausgleich zwischen den Bedürfnissen der Bevölkerung und der Wirtschaft zu sorgen. Das ist schwer genug.
Neben den rein materiellen Aspekten der Wirtschaftspolitik, bei welchen ich den Verantwortlichen ausdrücklich jede Kompetenz abspreche, gibt es natürlich noch eine mentale, psychosoziale Beistandspflicht. Für diesen Beistand bräuchte es allerdings keine Krise. Es würde reichen, wenn die Repräsentanten der Stadt Präsenz zeigten, das Gespräch suchten und informelle Kontakte knüpften. Aber in Friedrichstadt arbeitet man lieber mit einem (ungedeckten) Checkheft und konzentriert sich auf die paar Wenigen, welche der Bürgermeisterin und ihrer Gefolgschaft nach dem Mund reden.
Übrigens war das unter dem alten Bürgermeister auch nicht besser. Auch er litt unter einer Kontakthemmung und wahrte lieber Distanz zum Gewerbe, als sich aktiv einzubringen. Alte Sozen-Krankheit. Schade.
Das Internet ist keine Lösung
Wenn man den Laden oder den Gastraum nicht mehr öffnen kann, verlegt man sein Geschäft einfach ins Internet. Was so einfach klingt, ist in Tat und Wahrheit extrem schwierig. Die wenigsten Betriebe in Friedrichstadt haben die dafür notwendige Expertise, weshalb es auch nur eine Handvoll Geschäfte gibt, welche einen nennenswerten Umsatz übers Netz machen.
Wer im Netz erfolgreich sein will, muss ein paar Punkte beachten:
- Es braucht eine klare Strategie
- Die Seite muss nicht besonders schön, sondern wirkungsvoll sein
- Der Erfolg kommt nicht auf die Schnelle, sondern es braucht Zeit
- Die Konkurrenz ist riesig – nur die Besten bestehen
- Geld schießt Tore – aber Tore garantieren noch keinen finanziellen Erfolg
Auf den gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang gehe ich in einem anderen Beitrag konkret ein. Hier möchte ich einfach zwei Dinge festhalten:
Alles, was ich hier im Onlinebereich sehe, geht mehr in Richtung Aufruf zur ⇒ Solidarität, denn zu einem sinnvollen Onlinemarketing. Es schafft vielleicht etwas Umsatz, hilft aber unter dem Strich nicht wirklich.
Die Gefahr besteht, dass man es übertreibt und etwa in den sozialen Medien den Bogen überspannt. Inzwischen sind die Beiträge mit einem kommerziellen Hintergrund derart gedrängt, dass man sie kaum mehr wahrnimmt und sie wie normale Werbung wegdrückt. Zuviel schafft ein Gefühl der Sättigung. Das wird auf Dauer nicht funktionieren.
Lernen können wir trotzdem etwas: Das Internet hält uns quasi den Spiegel vor. Genau so, wie wir mit unseren Aufrufen auf Facebook nur das bestehende Umfeld erreichen, geht es dem Marketing von Friedrichstadt: Es erreicht – wegen der viel zu starken Konkurrenz – nur jene, welche sich bereits entschieden haben. Der Hauptteil des Marketingbudgets geht deshalb verloren, ohne einen einzigen Cent Ertrag gebracht zu haben. Friedrichstadt ist einfach zu klein, um über Werbung erfolgreich zu sein. Hilfreicher wäre ein einzigartiges Profil oder einzigartige Angebote, welche für sich selbst sprechen und eine eigene Nachfrage generieren.
Lernen aus der Vergangenheit: Solidarität verbraucht sich
Es ist verständlich, aber auf Dauer nicht hilfreich, wenn man die Karte der Solidarität spielt. Ich habe bei meinen Firmenkunden erlebt, wie groß die Solidarität für jene ist, welche in der Vergangenheit gut gearbeitet haben. Es ist wirklich erstaunlich, zu was gut bediente, zufriedene und glückliche Kunden fähig sind.
Die Geschichte (und die Wissenschaft) zeigt uns allerdings die Grenzen dieser Solidarität deutlich auf. Unser Gehirn ist darauf getrimmt dauernde Zustände als gegeben zu betrachten und sich auf Veränderungen zu fokussieren. Wer verheiratet ist, weiß was darunter zu verstehen ist. Ob wir wollen oder nicht: Man gewöhnt sich an dauerhafte Zustände relativ rasch.
Entsprechend werden Solidaritätsaktionen nach und nach ihre Wirkung verlieren. Besser wäre es, wenn man sich schon heute darauf vorbereitet, wie man morgen die Kunden zurück- und neue dazugewinnt.
Die Mehrzahl der Gewerbetreibenden scheint aber die aktuelle Situation aussitzen zu wollen. Und die Stadt macht weiter, als wäre nichts geschehen. Na dann.
Strategien wären gefragt
Die Krise wird vorbei gehen, daran kann kein Zweifel bestehen. Vielleicht werden wir sogar im Bereich des Tagestourismus ab Juli wieder so etwas wie den Normalfall erleben. Ob es aber tatsächlich wieder so wie zuvor sein wird? Es gibt Grund zum Zweifel.
- Selbst wenn die Kunden im Juli wiederkomme sollten: Werden sie mit Gesichtsmaske genauso spendabel ist, wie ohne?
- Wird die sich abzeichnende Wirtschaftskrise dazu führen, dass wir Bremsspuren im Ferienbudget sehen werden?
- Kann der an den Onlinehandel verlorene Umsatz vom stationären Handel zurückgewonnen werden? Und wenn ja, werden dabei die Margen unter Druck kommen?
Wir wissen es nicht.
Das bedeutet aber nicht, dass man aus den Erfahrungen nicht seine Schlüsse ziehen und für die nahe Zukunft lernen könnte. Persönlich sehe ich da folgende Ansätze:
- Wir brauchen eine auf der Ebene der Stadt, dem Gewerbe und den einzelnen Unternehmen eine klare Strategie.
- Diese Strategien müssen in einem klaren Profil münden, denn nur so können Kunden gewonnen und Margen gesichert werden.
- Wir sollten damit aufhören andere zu kopieren. Das bringt den Standort (und auch den Betrieb) nicht weiter. Kopien finden nie dieselbe Aufmerksamkeit, wie das Original. Das erschwert die Vermarktung extrem. Im Onlinebereich noch mehr als im stationären Handel.
- Der Onlinehandel wäre ein Instrument, welches gewisse Erträge bringen könnte. Allerdings sind die einzelnen Händler in Friedrichstadt viel zu klein, um sich mit Geld Marktanteile kaufen zu können. Ihre Chance läge in Kooperationen und/oder in einem beträchtlichen Mehraufwand an Zeit, Fleiß und Fantasie. Und ach ja: Eine zielführende Strategie ist auch in diesem Falle unumgänglich.
Moin Sidney, ich möchte Dir im Großen und Ganzen beipflichten, auch wenn ich hier einfach mal einwenden muss, dass eine solche Krise nur der überstehen kann, der ausreichend strategisch vorbereitet ist. Das sind in unserem Lande nur wenige und im Gewerbe von Friedrichstadt wahrscheinlich niemand. Einige sind aufgrund ihrer Ausrichtung per se besser aufgestellt als andere, weil sie unempfindlichere Geschäftsbereiche bedienen. Nicht einmal unsere Politiker und ihre Berater ganz oben überschauen die Sümpfe und Niederungen, die eine solche Pandemie mit sich bringt. Der Modus ist hier innerhalb von Tagen von Agieren auf Reagieren umgeswitcht. Reagieren, insbesondere schnell und konsequent reagieren kann für eine bestimmte Dauer sinnvoll sein… Für das Wiederaufnehmen der normalen Tagesabläufe hier im Ort, auf das wir jetzt zugehen, braucht es aber nun wieder Aktion, und das wird schwierig werden, weil diejenigen, nämlich die Touristen, die die Aktion durch Käufe belohnen, nicht da sind. Abgesehen von den Nahversorgern, die von der Region halbwegs getragen werden, kommen die anderen, deren Warenangebot zwar schön, aber „nicht zwingend zum Überleben notwendig ist“ nur über die Runden, wenn Urlaubsgäste von nah und fern das Stadtbild als Laufkundschaft beleben. Wie tot die Stadt seit dem 20. 4. bei bestem Wetter ist, ist ja nicht zu übersehen. Wir werden hier eine Saison haben, die die meisten von uns noch weniger als bisher über den Winter tragen kann…
…eine kurzfristige Strategie, um im kommenden Jahr wieder halbwegs normal starten zu können, wäre die jetzige einfach aktiv zu verlängern, und zwar über den Herbstzauber und die KERAMIK-TAGE hinweg. Und das mit vollem Einsatz aller Akteure hier im Ort. Man müsste das touristisch featuren bis zum Abwinken – „Wir ziehen durch bis Weihnachten!“ Aber ich weiß ebenso genau, dass hier nur wenige Kolleg*innen mitziehen würden… Es müssten ausnahmslos alle an einem organisierten Strang ziehen – und das wirst Du hier nicht erleben… Entsprechende Konzepte dazu müssten eigentlich längst entwickelt sein… Aber da sehe ich derzeit keine Bündelung von Kompetenzen bisher… Wie toll könnte man die so entstehenden Energien in das Festjahr 2021 mitnehmen? Aber was red´ ich? Es wird wahrscheinlich so laufen wie immer, und kreativer Input wird von den Bedenkenträgern ohne Regung zerredet werden…
Hallo Markus,
was die Zahl der Besucher anbetrifft, bin ich nicht ganz so pessimistisch wie auch schon. Nicht, weil irgendwelche Massnahmen, welche wir lokal getroffen hätten eine Wirkung zeigen würden. Schliesslich behaupte ich schon seit vier Jahren, dass wir mit unserem „Agieren“ praktisch überhaupt nichts erreichen, weil wir zum einen zu klein und zum andern genau so wie alle andern sind. Wir schüren keinen alternativen Bedarf zu anderen Standorten. Nein, meine Zuversicht basiert auf der (… nein, das darf ich an dieser Stelle so nicht sagen!), basiert auf dem Bedürfnissen der Menschen, raus zu gehen und sich zu bewegen, ein Eis zu Essen, ein Bier zu zwitschern und sich einen Kuchen zu gönnen. Ganz egal, wie die Weltlage gerade so ist. Viele Menschen werden also kommen. Nicht zwingend alle, denn der Bustourismus liegt definitiv darnieder.
Die Frage ist, ob Menschen mit Masken, welche sich an Abstandsregeln halten müssen und welche ihre Umgebung misstrauisch beäugen, weil jeder Kontakt der Letzte sein könnte (…) überhaupt in Komsumlaune sind. Daran zweifle ich arg.
Ist nicht so schlimm. Ausser für die Gewerbetreibenden im Umfeld des Tourismus natürlich. Weniger Konsum tut der Natur gut. Mein Tipp: Legt das gesparte Geld zur Seite und baut Euch endlich eine tragfähige Altersvorosrge auf. Der Staat verausgabt sich aktuell derart, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass er die klaffende Finanzierungslücke, welche sich in ca. 10 Jahren auftut, ausfinanzieren kann.
Okay verstanden… wir lassen das absofort mit der hochwertigen Keramik, und stellen auf Weinhandel, Kaffee, Tee und Ambiente-Produkte um. Kaufen günstig ein und verkaufen mit einer zackigen Marge pseudo-regionale Produkte, damit wir „lokal handeln“ und so etwas (mit „gutem Gewissen“) für unser Alter ansparen können… Also ich bin ganz ehrlich: Wir werden im Oktober unser zehnjähriges Betriebsjubiläum mit tonalto feiern, so Corona oder der Sonstwer uns lässt – und so hart dieses Jahr auch werden wird, wir bleiben uns treu und machen mit unseren vor Ort in 100 prozentiger Handarbeit erzeugten Keramikstücken weiter. Ich denke, dass unsere Stammkunden und die weltweiten Keramikliebhaber das auch in Zukunft honorieren werden… Will sagen: Wir brauchen keine „Bustouristen“, die in einem knappen Zeitfenster mit den üblichen Standards durch den Ort getrieben werden, sondern Menschen, die sich Zeit für das Besondere nehmen und die Stadt und Ihre interessanten Angebote mit anderen Augen entdecken wollen… Das „Besondere“ schwankt hier von Jahr zu Jahr stark, aber in den 5 Jahren, die wir jetzt hier sind, sehe ich schon, eine wenn auch gemächliche aber spürbare Entwicklung in Richtung anspruchsvoller Tourismus – insbesondere in der Nachsaison… Es gibt einige Gewerbetreibende, die mit individuellen, glaubwürdigen und hochwertigen Angeboten weit über 10 Jahre hinweg erfolgreich sind… kann also nicht ganz so falsch sein. Vielleicht braucht so ein Ort aber auch den „wilden Mix“… wer weiß? Den Kudamm werden wir hier nie hinkriegen…