Geschäftsmodell Tourismus (3. Teil)

Lohnt sich der Tagestourismus?

In der ersten Folge der Analyse des Wirtschaftssektors „Tourismus“ wurde festgestellt, dass Friedrichstadt keine typische Feriendestination ist und es wegen seiner Binnenlage auch niemals werden wird. Ist unter diesen Voraussetzungen ein erfolgreiches Wirtschaften überhaupt möglich? Und was bedeutet „erfolgreich“ in diesem Zusammenhang?

Tagestourismus – Potenzial und Wirklichkeit

Welches Potenzial hat der Tourismus in Friedrichstadt aktuell? Basierend auf den verfügbaren Zahlen, können wir von einem theoretischen Potenzial von 12 Mio. Euro ausgehen. Dieses Potenzial errechnet sich einerseits aus der offiziell angegebenen Zahl der Besucher (ca. 400.000 pro Jahr) und den durchschnittlichen Ausgaben, die ein Tagestourist in Deutschland macht (20 – 30 EUR).

Eigentlich eine schöne Zahl, doch ist sie aus verschiedenen Gründen sehr optimistisch:

  1. Es wurden jeweils die Maximalwerte hinzugezogen
  2. Friedrichstadt ist bei den meisten Gästen nur ein (kleiner) Teil ihrer Tagesplanung
  3. Der hohe Anteil der Busreisenden reduziert die Ertragschancen
  4. Das Angebot in Friedrichstadt ist im Vergleich eher tiefpreisig

Schon deshalb müssen wir davon ausgehen, dass in Friedrichstadt die tatsächliche Wertschöpfung aus dem Tourismus deutlich unter dieser Marke liegt. Trotzdem ist es selbstverständlich auf der Ebene des einzelnen Betriebes möglich, einen auskömmlichen Ertrag zu erwirtschaften. Doch darum geht es in dieser Betrachtung gar nicht.

Die Frage ist vielmehr: Lohnt es sich für Friedrichstadt als Ganzes auf die Karte Tagestourismus zu setzen?

Warum müssen wir uns diese Frage stellen?

Weil eine kleine Gemeinschaft es sich nicht leisten kann, ihre Prioritäten falsch zu setzen. Sie muss sich ganz genau überlegen, ob eine Investition die notwendige Rendite bringt. Auf der Ebene des einzelnen Betriebes ist das ziemlich einfach zu belegen: Wenn man 1.000 EUR investiert, müssen daraus mindestens 1.000 EUR Erträge resultieren – nur um schon die Investitionen einzuspielen. Tatsächlich braucht es natürlich ein Mehrfaches davon, um den Laden zu finanzieren.

Wenn die Investitionen von der Gemeinschaft erbracht werden, die Erträge sich aber bei den einzelnen Betrieben ansammeln, wird es natürlich schwieriger. Vor allem, wenn die Investitionen nicht alleine aus Geldwerten bestehen.

Das Wacken Open Air bringt der Region Wacken in 4 Tagen mehr Wertschöpfung als die 400.000 Tagestouristen Friedrichstadt in einem Jahr. Kein Wunder also, dass die Bevölkerung als Ganzes hinter WOA steht.

So stellen die 400.000 Besucher im (Halb-) Jahr für einen Ort mit weniger als 2500 Einwohner eine sehr hohe Belastung darstellen. Für alle.

Diese Belastung muss entschädigt werden. Und alle müssen davon profitieren.

So profitieren alle Bürger vom Erfolg

Eine Entschädigung für die „Besetzung“ erfolgt natürlich nicht in bar. Nur ein Teil profitiert direkt oder indirekt durch Erwerbseinkommen. Einige durch die Vermietung von Immobilien. Und der große Rest durch willkommene Nebeneffekte:

  • Ein größerer finanzieller Handelsspielraum der örtlichen Stadtverwaltung
  • Der großzügige Ausbau der lokalen Infrastruktur
  • Freizeit- und Kulturangebote die es sonst nicht gäbe
  • Fachgeschäfte, welche von der örtlichen Bevölkerung alleine nicht leben könnten
  • Etc.

Keine andere Stadt nimmt mehr Tagestouristen auf wie Berlin. Nicht weniger wie 132 Millionen Gäste pilgern Jahr für Jahr in die Hauptstadt und lassen dort täglich über 32,5 Euros liegen. Weshalb ist das interessant? Weil sich die 132 Millionen auf 3,47 Millionen Einwohner verteilen. Das entspricht einem Verhältnis von 38 Besucher pro Einwohner pro Jahr.

Das sind Zahlen von denen Friedrichstadt nur träumen kann. Während die Belastung im Verhältnis deutlich höher ist (160 Besucher pro Einwohner und Jahr), dürfte der Ertrag nur ein kleiner Bruchteil des Berliner Tagesumsatzes betragen.

Wie also sieht die Rechnung aus?

Wie gesagt, auf der Ebene des einzelnen Unternehmens, der einzelnen privaten Leistungserbringer (Ferienwohnung, Bed ’n’ Breakfast, etc.) kann der Tourismus ein profitables Geschäft darstellen. Aber für die Gemeinschaft?

Wenn wir die markant überdurchschnittliche Arbeitslosenquote betrachten, vermutlich eher nicht. Aber das ist nicht das einzige Warnzeichen:

  • Löhne und Gehälter haben ein unterdurchschnittliches Niveau
  • In der Stadtkasse herrscht ebbe
  • Wir sehen einen hohen Leerbestand an Gewerberäumen in der Innenstadt
  • Die Altersstrukturpyramide, welche die demographische Entwicklung des Landes weit vorwegnimmt
  • Eine negative Bevölkerungsentwicklung

Unter diesem Blickwinkel scheint der Tagestourismus in Friedrichstadt keine wirkliche Erfolgsgeschichte für die Stadt zu sein. Als Unternehmerberater würde ich hier zweifellos raten, das Geschäftsmodell grundlegend zu überdenken oder es gleich ganz aufgeben.

Und um das noch einmal klarzustellen: Das Geschäftsmodell Tagestourismus kann sich für einzelne Betriebe sehr wohl rechnen und die sollten es dann auch weiterführen. Aber auf Ihre Kosten, ihre Verantwortung und in Ihrem Sinne. Das würde sich vermutlich für sie unter dem Strich sogar rechnen.

Weshalb bringt der Tagestourismus in Friedrichstadt trotz der 400.000 EUR keinen wirklichen Wohlstand? Mit dieser Frage wollen wir uns in der nächsten Folge dieser Serie beschäftigen.