PARTIZIPATION – Worthülse oder Chance?

Friedrichstadt hat es in die dritte Runde des Wettbewerbs Zukunftsstadt geschafft. Nun gilt es leere Worthülsen in konkrete Projekte zu gießen. Wir beschäftigen uns in dieser Ausgabe mit dem Begriff der „Partizipation“. Wir wollen herausfinden, was „Partizipation“ überhaupt ist und ob hier in Friedrichstadt diesbezüglich überhaupt ein Mangel besteht. Und sollte dem tatsächlich so sein, würden wir einige Vorschläge zur Diskussion stellen, wie man diese gegebenenfalls beheben könnte.

Bevor wir uns mit der lokalen Situation beschäftigen wollen, sollte erst einmal geklärt werden, was unter dem Begriff der Partizipation überhaupt gemeint ist.

Der Begriff Partizipation geht auf das lateinische Wort „particeps“ (= „teilnehmend“) zurück und steht für „Beteiligung“, „Teilhabe“, „Mitwirkung“ und „Einbeziehung“.

Im Grunde nicht schwer zu verstehen. Es geht darum, dass alle oder zumindest möglichst viele Menschen die Möglichkeit haben, sich einzubringen, an Entscheidungen beteiligt zu werden und am Ertrag der gemeinschaftlichen Aktivitäten angemessen beteiligt zu werden.

In welchen Bereichen mangelt es an Teilhabe?

Vermutlich ist es am einfachsten, wenn wir die Forderung nach Mitwirkung und Teilhabe in drei Bereiche gliedern:

 

Politik                                 
  • Möglichkeit sich glaubwürdig Gehör zu verschaffen
  • Chance sich am politischen Prozess zu beteiligen
  • Wege eigene Vorstellungen und Ideen einzubringen
  • In relevante Entscheidungsprozesse einbezogen werden
  • Entscheidungen nachvollziehen können
  • Etc.

 

Gesellschaft
  • Gleichberechtigung
  • Keine Ausgrenzung von was auch immer (Inklusion)
  • Zugang zu allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens
  • Respekt & Toleranz
  • Bildungschancen für alle
  • Etc.

 

Wirtschaft
  • Eigenverantwortliche Arbeitsbereiche
  • Freie Gestaltungsmöglichkeit bei der Arbeit
  • Mitsprache bei Managemententscheidungen
  • Faire Beteiligung am geschaffenen Mehrwert
  • Anständige Entlohnung
  • Einfluss auf Angebot als Konsument/in
  • Gehör finden als Kunde
  • Zugang zu Kapital
  • Etc.

 

Die meisten dieser verkürzten Stichworte vermitteln schon eine ungefähre Idee, um was es bei der Beteiligung und Teilhabe geht.

Interessant ist, dass sich die Wettbewerbsleitung sich dafür entschieden hat, ausgerechnet der Forderung nach einer „lebendigen partizipativen Wirtschaft“ einen prominenten Platz in ihrer Kampagne zu widmen. Es ist unschwer zu erahnen, dass dieser Bereich auch bei günstigeren Verhältnissen der mit Abstand schwierigste ist.

Ich glaube, dass es produktiver, sinnvoller und erfolgsversprechender wäre, sich auf die beiden anderen Bereiche der Partizipation zu konzentrieren. Diese bieten genug Herausforderung und die Erfolge sind sofort sichtbar.

Warum ist Beteiligung wichtig?

Die Wettbewerbsverantwortlichen haben rasch erkannt, dass das kleine Friedrichstadt in viele, sich konkurrierende Fraktionen aufgeteilt ist. Was für Zugezogene – gerade, wenn sie aus etwas größeren Städten stammen – nur schwer nachzuvollziehen ist, stellt sich im Alltag als eigentlicher Bremsschuh dar. Sollte es gelingen, alle Bevölkerungsgruppen wieder in die Entwicklung der Stadt einzubinden, wäre das per se schon eine Beteiligung am Wettbewerb wert gewesen.

Denn Partizipation setzt voraus, dass alle Beteiligten miteinander offen reden (Kommunikation) und mit Respekt begegnen. Wenn dieser Zustand erreicht ist, können viele Projekte verwirklicht werden, von denen heute nicht einmal offen geredet wird.

Partizipation als gesellschaftliche Notwendigkeit

Ganz unabhängig von Friedrichstadt und dem Wettbewerb Zukunftsstadt ist es erstrebenswert, der Bevölkerung ein Gefühl zu vermitteln, sie sei an Prozessen und Entwicklungen beteiligt. Damit entstünde ein Gegengewicht zu der zentralistischen Entwicklung, welche als Folge komplexer Systeme (technisch und politisch) seit Jahrzehnten zu beobachten ist.

Partizipation ist eine Art Föderalismus im Kleinen. Entscheidungen werden für den/die Einzelne/n nachvollziehbar, er/sie hat Einfluss und muss sich nicht übergangen fühlen. Das einzelne Mitglied der Gesellschaft wir eingebunden, muss Verantwortung übernehmen und kann von diesem Moment an nicht mehr alle Schuld auf andere schieben. Ein höheres Engagement, eine bessere Vernetzung und mehr Solidarität innerhalb der Gemeinschaft wären die Folge. Vorausgesetzt natürlich, man missbraucht die Beteiligung nicht als Schlagwort. Denn als leere Worthülse würde die angekündigte Partizipation großen Schaden anrichten.

Wie weiter?

Es ist Teil des Konzeptes, dass die Bevölkerung eigene Projekte entwickelt, wie Teilhabe in Friedrichstadt gestaltet werden könnte. Wir »1621« werden uns hier aktiv einbringen. So werden wir in allen drei Bereichen mit konkreten Diskussionsvorschlägen aufwarten, wie die Stadt das Thema Partizipation bewegen könnte.

Um zu verhindern, dass das Ganze am Ende nur Sandkastenspiele sind und bei denen das Thema Partizipation am Ende einfach nur versandet, werden wir eigene Initiativen starten. Bürgerprojekte, bei welchen also nicht die Stadt oder die Politik das Sagen hat. Bei diesen Bürgerprojekten werden wir zwar den Anstoß geben, bzw. über eine gewisse auch Zeit federführend sein. Über die Zeit muss es aber so sein, dass diese Projekte eine Eigendynamik entwickeln und so unabhängig von einzelnen Personen werden.

Das erste Projekt wird die Plattform friedrichstadt.sh sein. Dieses Portal wird gleichzeitig auch die Basis für einige andere Ideen bilden, welche wir in den nächsten Wochen und Monaten vorantreiben werden. Selbstverständlich steht es aber auch anderen Privatinitiativen, zur Verfügung.

»1621« konzentriert sich im Übrigen vorwiegend auf die Bereiche „Politik“ und „Gesellschaft“. Nicht weil wir eine „lebendige partizipative Wirtschaft“ nicht spannend fänden. Es dürfte einfach unsere Kräfte und Möglichkeiten übersteigen, dieses Thema auf kommunaler Ebene aufzuziehen.  Diesen Bereich überlassen wir deshalb gerne dem Wettbewerbsmanagement.