Schuldenwirtschaft

Die Wende am Zinsmarkt hat viele Menschen auf dem falschen Fuß erwischt. Betroffen vom Zinsanstieg sind aber nicht nur Bauwillige, sondern auch Kommunen, welche für die Erschließung von Neubaugebieten in Vorleistung gehen und nun fürchten müssen, sich mit ihrer Kalkulation verzockt zu haben. Hier auf 1621.sh wollen wir uns in einer dreiteiligen Serie mit der Frage beschäftigen, welche Folgen das für das geplante Neubaugebiet am Schlickkoog in Friedrichstadt hat.

Schwarzer Schwan Neubaugebiet Friedrichstadt Risiko
3. Teil: Denn sie wissen nicht was sie tun

Wer hat Angst vor dem schwarzen Schwan?

In den ersten beiden Teilen dieser Serie ging es darum, welchen Einfluss die Zinswende auf die Bautätigkeit in den Gemeinden haben könnte. Dass es zu Vermarktungsschwierigkeiten bei Neubaugebieten kommen dürfte und sich gerade jüngere Familien sehr genau überlegen werden, ob sie sich unter den neuen Gegebenheiten (höhere Zinsen und höhere Baukosten) in das Abenteuer Wohneigentum stürzen wollen. Und wenn ja, ob sie bereit und fähig sind, vermeidbare Mehrkosten, wie den Hochwasserschutz auf einem für Bauzwecke eigentlich ungeeigneten Gelände, zu finanzieren.

In dieser Folge stellen wir uns die Frage, welche finanziellen Folgen die Zinswende für die Kommunen im Allgemeinen und für Friedrichstadt im Speziellen hat.

 

Die unbekannte Gefahr

Im Jahr 2007 begründete der Publizist und Börsenhändler Nassim Nicholas Taleb in einem seiner Bücher die Metapher vom „Schwarzen Schwan“. Dabei handelt es sich um ein Ereignis, auf das man sich nicht vorbereiten kann, weil es bis zum Zeitpunkt des Auftretens schlicht und ergreifend undenkbar war.

Seither wird der „Schwarze Schwan“ bei jeder sich bietenden Gelegenheit als Argument verwendet, wenn Entscheider und Verantwortliche auf dem falschen Fuß erwischt werden und sie ihre Versäumnisse beschönigen wollen. Denn – das haben viele Menschen offenbar nicht verstanden – unvorhersehbare Ereignisse sind nicht das gleiche wie unerwartete oder unwahrscheinliche Ereignisse.

Die Mär vom schwarzen Schwan

In der Politik neigt man dazu, Unerfreuliches oder Dinge, die nicht ins eigene Weltbild passen, zu verdrängen, zu verleugnen oder ihnen zu bescheinigen, dass sie höchst unwahrscheinlich seien. Wenn diese dann doch auftreten, handelt es sich definitiv nicht um „Schwarze Schwäne“, unter deren
breiten Flügeln Fehler aller Art versteckt werden können, sondern um eine Situation, deren Problematik bis zu einem gewissen Grad im Vorfeld hätte erarbeitet werden können.

Solche Ereignisse erleben wir gerade im Tripel: Steigende Zinsen, das Einbrechen des Baubooms und ein dramatisches Aufflackern der Inflation. Weil die Drei als definitiv besiegt (Inflation) oder nach mehr als 10 Jahren als höchst unwahrscheinlich betrachtet wurden (Ende des Immobilienbooms, hohe Zinsen), besitzt die Politik nach ihrer Rückkehr weder einen Plan B, noch zeigt sie die Bereitschaft, ihre Position zu hinterfragen. Entsprechend düster sind die Aussichten der Kommunen im Zuge der Zinswende.

Womit wir zum Neubauprojekt der Stadt Friedrichstadt kommen.

Fehlendes Risikobewusstsein auf allen Ebenen

Bislang wurde das Projekt in erster Linie deshalb kritisiert, weil der Standort aus Gründen des Naturschutzes erhaltenswert wäre, und weil das Gebiet eigentlich als wichtiger Puffer gegen die Folgen von Starkregen dienen müsste.

Dies ist auch der Grund, weshalb das Gelände nur unter hohen Kosten baufähig gemacht werden kann. Ein Faktum, welches dazu führt, dass die dort zu errichtenden Bauten massiv teurer zu stehen kommen als vergleichbare Gebäude in günstiger Lage.

Um ein Wohnen in diesem Gebiet möglich zu machen, muss u.a. der Grund zuerst aufgefüllt werden – was gleichbedeutend ist mit dem Wegfall von besagtem Puffer. Was bei der zu erwartenden Zunahme der Starkregensituationen in der Zukunft natürlich Konsequenzen hat (-> Schwarzer Schwan?).

Ungelegte Eier vom schwarzen Schwan

Mit der Zinswende kommt ein weiterer Faktor hinzu, welcher zu bedenken wäre: Die hohen Erschließungskosten werden von der Stadt vorfinanziert. Das oben angesprochene Tripel aus Zinswende, Inflation (besonders im Bausektor) und dem Einbruch der Nachfrage lassen die Frage aufkommen, ob sich dieses Projekt nicht zu einem finanziellen Desaster für die Stadt auswachsen könnte.

Denn die Kalkulationen der Stadt berücksichtigen keinen der drei Risikofaktoren. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich hoch, dass die Baugrundstücke nicht innerhalb der gedachten Frist verkauft und die vorgeschossenen Erschließungskosten zumindest mittelfristig nicht vollständig
weitergegeben werden können. In jedem Fall werden die Zinskosten deutlich höher ausfallen als ursprünglich geplant. Und je länger ein allfälliger Verkaufs- und Bauprozess dauert, desto größer wird der Schaden für die Bürger und Bürgerinnen der Stadt.

Die Stadt im Würgegriff der Zinsen

Ganz unabhängig von diesem Projekt verdüstern sich die wirtschaftlichen Aussichten für die Stadt durch die Zinswende gerade beträchtlich:

Am 31.12.2021 hatte die Stadt Friedrichstadt rund 11 Millionen Euro Schulden. 2,6 Millionen davon waren Kassenkredite, also eine Finanzierungsform, die in etwa Ihrem Kontokorrent („Dispo“) auf dem Girokonto entspricht. Gedacht, um damit kurzfristige Liquidationsengpässe zu überbrücken, hat sich diese Form der Geldbeschaffung bei klammen Kommunen als teures, aber gerne genutztes Mittel der Geldbeschaffung etabliert.

Der Nachteil dieser Finanzierungsform ist unter anderem, dass die Zinsen variabel sind… Man muss jetzt kein Finanzgenie sein, um sich die Konsequenzen vorstellen zu können. Ganz egal, in welche Höhen die Zinsen in nächster Zukunft noch steigen werden, die Zinswende wird auch in anderen Bereichen dafür sorgen, dass sich der finanzielle Spielraum weiter einengt.

Selbstbetrug ist keine Lösung

Jetzt könnte man argumentieren, die Stadt Friedrichstadt sei eh schon eine Bedarfsgemeinde – also eigentlich ein Hartz-IV-Fall – und eine weitere Überschuldung hätte in diesem Sinne keine weitere Bedeutung für die Einwohner. Nach dem Motto, „einem nackten Mann könne man nicht in die Tasche greifen…“ Eine solche Denke ist jedoch sehr kurzsichtig. Denn irgendjemand muss die Rechnung am Ende bezahlen, und das sind so oder so die Steuerzahler. Außerdem bedeutet dies lediglich, dass der Handlungsspielraum an anderer Stelle gemindert wird. Und sollten wir irgendwann auf Zuschüsse – etwa im Verkehrsbereich – hoffen, könnte die Antwort dann anders ausfallen als heute…

Im Grunde ist es so, als würden wir eine Rückstauebene auffüllen, um ein Neubaugebiet zu schaffen. Mit baulichen Maßnahmen mag man die neuen Häuser kurzfristig vielleicht schützen können. Wenn das Wasser dann aber doch überläuft (-> Schwarzer Schwan?), werden alle Häuser in der Umgebung davon in Mitleidenschaft gezogen.

 

Fazit:

Einen schwarzen Schwan kennt man (noch) nicht

Die Zinswende führt dazu, dass die Stadt mit dem Neubaugebiet am Schlickkoog ein finanzielles Abenteuer startet, dessen Tragweite aus heutiger Sicht nicht abschließend beurteilt werden kann. Sicher ist nur, dass es für alle Beteiligten sehr viel teurer wird als ursprünglich erhofft, und dass dies für alle Einwohner spürbare Konsequenzen haben wird.

Mit dem Auftreten eines „Schwarzen Schwans“ werden sich die Verantwortlichen am Ende aber nicht herausreden können, denn auch wenn die konkreten Zahlen noch nicht bekannt sind, so ist die grundsätzliche Entwicklung bereits heute deutlich absehbar.

Noch wäre Zeit, die Notbremse zu ziehen. Ob die Verantwortlichen dies aber tatsächlich tun werden…?

Kurzfassung

Das Projekt „Neubaugebiet am Schlickkoog“ stand von Anfang an unter einem ungünstigen Stern. Es hat strukturelle Nachteile, sowohl für die Bauwilligen (höhere Kosten), als auch für die Nachbarschaft (Wegfall von Hochwasserschutz). Selbst wenn man den Naturschutz außer Acht lässt, wäre es unter normalen Umständen niemals realisiert worden.

Durch die Zinswende verschlechtert sich das Chance-/Risikoprofil des Projektes weiter, weil die Finanzierungskosten weit höher ausfallen werden. Dafür sind nicht nur die höheren Zinsen der Fremdfinanzierung verantwortlich, sondern auch die mutmaßlich deutlich längere Finanzierungsphase (weil die Vermarktung unter den gegebenen Umständen viel schwieriger, wenn nicht sogar unmöglich wird). Darunter leiden am Ende alle Einwohner und Einwohnerinnen der Stadt.

Aber nicht nur wegen der Zinskosten verschlechtert sich das Chance-/Risikoprofil: Der erhoffte Zuwachs von Familien mit Kindern ist angesichts der gestiegenen Baukosten illusorisch. Was aber rechtfertigt dann das finanzielle Risiko?

Einen „Schwarzen Schwan“ können die Verantwortlichen in diesem Fall jedoch nicht als Entschuldigung ins Feld führen. Wer die Möglichkeit steigener Zinsen einfach ausblendet, wird nicht von einem neuen Phänomen überrascht, sondern hat seine Hausaufgaben zuvor nicht gemacht.