Was bringt die Zukunft für das Gewerbe?
Das Ende des Shutdown löst kein Problem
Das Gewerbe in Friedrichstadt leidet unter dem Shutdown. Da in diesen Tagen die ersten Hilfszahlungen der Staatsregierung fließen oder geflossen sind ist das wahre Ausmaß für viele Gewerbetreibenden noch schwer zu fassen. Damit liegen sie mit der Stadt und dem Tourismusbüro auf einer Linie. Beide scheinen immer noch zu glauben, dass das Leben nach Ende des Shutdowns in gewohnten Bahnen verlaufen würde. Deshalb sind die Rosenträume 2020 auch nach Absage von hunderten anderen Veranstaltungen im In- und Ausland immer noch Teil der Agenda. Doch während die Bürgermeisterin und der Tourismusverein nicht ihr eigenes Geld riskieren, könnten solche Fehleinschätzung bei Geschäftsinhabern deren wirtschaftliche Existenz zerstören.
Zahlen sagen mehr als Worte
Um das zu verhindern, ist es wichtig seinen Blick auf die weitere Zukunft zu richten. Auf die Zeit jenseits der kommenden 8 Wochen. Ich empfehle Ihnen einen möglichst detaillierten Finanzplan zu erstellen, in welchem Sie alle möglichen Einnahmen und noch wichtiger alle zu erwartenden Ausgaben einpflegen. Ein solcher Finanzplan bildet die Grundlage für das Wichtigste, was man in diesen Tagen im Griff haben muss: die Liquidität.
Für die meisten Gewerbetreibende ist Buchhaltung ein Buch mit sieben Siegeln. Sie erledigen das mit den Belegen, aber den Rest überlassen sie ihrem Steuerberater. Das ist schon in guten Zeiten ein Fehler, in kritischen Phasen wie dieser ist das geradezu fahrlässig. Denn nur wenn Sie ganz genau wissen,
- wie hoch die Fixkosten sind
- wann Ausgaben anfallen
- von welcher Art und Höhe die variablen Kosten sind
können Sie Ihr Unternehmen in diesen Zeiten sicher durch Sturm führen. Zumindest können Sie sich vor größerem Schaden bewahren. Das was geschieht in der gelebten Praxis? Die Mehrzahl der GeschäftsführerInnen kalkuliert im besten Fall mit branchenüblichen Kennzahlen. Das mag im Normalbetrieb funktionieren (wenn man es mag, seine Geschäfte mit dem Nebelhorn zu steuern), aber in wirtschaftlichen Krisen braucht es mehr: Ein Instrument, mit welchem man rechtzeitig erkennt, welche Spielräume man hat und wann es notwendig ist, konsequent zu reagieren. Genau das erlaubte eine fundierte Finanzplanung.
Niemand kann in die Zukunft sehen
Leider kann man auch mit einer noch so ausgeklügelten Finanzplanung die Zukunft nicht voraussehen. Deshalb müssen wir bei unserer Planung mit verschiedenen Szenarien arbeiten. Die müssen wir zudem laufend der tatsächlichen Entwicklung anpassen.
Klingt aufwendiger als es tatsächlich ist. In Wirklichkeit kostet das Einrichten der ersten Planungsbasis nur ein paar Stunden. Alle anderen Schritte danach bauen darauf auf und sind in wenigen Minuten erledigt. Wer sich diesen Extraaufwand sparen möchte, sollte sich die Alternative überlegen. Wieviel Zeit und Kraft kostet es, eine in Trümmern liegende Existenz wieder auf die Füße zu stellen?
Um zu zeigen, wie wichtig es ist, sich auf die Zeit nach dem Shutdown vorzubereiten, habe ich einen verkürzten Finanzplan auf der Basis sehr realistischer Grundlagen erstellt. Der eine oder andere Betriebsinhaber in Friedrichstadt dürfte sich darin wiedererkennen.
Ich arbeite dabei mit drei unterschiedlichen Szenarien, welche von pessimistisch bis optimistisch reichen. Dabei geht es nicht darum, was man sich wünscht oder welcher Variante man den Vorzug gibt. Es geht darum, möglichst realistische Entwicklungen zu zeichnen.
Bei meinen Szenarien ging ich von diesen Entwicklungen im Vergleich zum Vorjahr aus:
Basierend auf dem Finanzplan (also der Aufteilung der erwarteten Kosten und Einnahmen auf dem Zeitstrahl von einem Jahr) ergibt sich folgende monatliche Liquiditätsveränderung.
Kumuliert auf ein Jahr sieht das Ganze dann so aus:
Wissen wann genug ist
Bei meiner Berechnung bin ich übrigens von einem Vorjahresumsatz von rund 64.000 EUR , einer Soforthilfe von 9.000 EUR und einem Privatbedarf von 15.000 EUR ausgegangen. Keine riesigen Umsätze, kein großer Gewinn. Schulden sind unter diesen Bedinungen schwer zurückzuzahlen.
Schon beim mittleren Szenario dürfte es bei diesen Einkommensverhältnissen schwierig, bis unmöglich sein, die aufgelaufenen Schulden wieder zu tilgen. Dabei spielt es keine Rolle, ob Ihnen die KfW das Geld mehr oder weniger kostenlos zur Verfügung stellt oder ob sie es von Verwandten, Kunden oder Lieferanten bekommen.
Entsprechend wichtig ist es, dass die Reißleine rechtzeitig gezogen wird, wenn die Entwicklung in diese Richtung geht.
Fazit: Alles wird nach dem Shutdown noch schlimmer
Das Ende des Shutdown löst gar nichts. Die Krise um den Corona-Virus (Covid-19) wird lange nachwirken. Selbst wenn es nicht zu einer zweiten oder dritten Welle kommen wird, dürften die Einkünfte von Gewerbetreibenden Friedrichstadt in absehbarer Zukunft spürbar sinken. Damit die drohende Verschuldung nicht zur Falle oder ein allfälliger Vermögensverzehr nicht zum Verlust der aufgebauten Altersvorsorge führt, müssen Unternehmer und Unternehmerinnen die Entwicklung vorausschauend unter Kontrolle halten. Dazu ist eine saubere Liquiditätsplanung notwendig. Und ein konsequentes Handeln, wenn man ein Problem erkennt.
Es lohnt sich, die Einnahmenseite bei der Betrachtung überwiegend anzugehen. Umsatz und Ertrag erwirtschafte ich in Krisenzeiten weiterhin nur dort, wo ich Mehrwert erzeuge. Dafür werde ich bezahlt. Egal, wie die Umstände sind. Wenn ich daran nicht arbeite, ist jede andere Bemühung für die Katz. Und da hapert es gewaltig. Immer wieder fahre ich nach Friedrichstadt. Nur wenige Läden haben das, was ich Kultpotenzial nenne. Darunter geht es nicht. Mit Durchschnitt funktioniert es auch in Friedrichstadt nicht. Ob ich in ein altehrwürdiges Kaffeegeschäft gehe oder in einen Imbiss, es ist Totentanz. Von der Kundenansprache über das Angebot bis zu Dienstleistungen. Ich weiß, wie die „Umstände“ auf die Stimmung drücken müssen, bin selber Ladeninhaber im Norden. Ich muss im Moment schließen. Die meisten Produkte in den Auslagen Friedrichstadts bekomme ich theoretisch und praktisch im Internet und bequem geliefert. Wenn das so ist, kann ich nur lokal Punkte sammeln. Mit Warenpräsentation, mit kreativer Bespielung von Räumen. Da muss ich/will ich richtig gut drin werden, damit. das klappt. Wie soll sich Faszination entwickeln, Strahlkraft, wenn es hier so müde zugeht? Unter dem Level Kultstatus geht es nicht. Das ist wichtig zu verstehen. Natürlich ist „Kultstatus“ für viele Anbieter im Moment und auch schon damals nicht vorstellbar. Woran soll man merken, dass mein Laden Kult ist? Was sollen sich die Leute über meinen Kultladen so erzählen? Wenn ich mir das nicht vorstellen kann, dann muss sich offenbar im Kopf, in der Haltung etwas ändern. Mit herkömmlicher Denke wird das kaum was werden.
Ladenbetreiber sind selbst auch Kunden. In anderen Regionen. Was wünschen sie sich dort? Was funktioniert für sie dort besser oder richtig gut oder sogar exzellent? Völlig unabhängig davon, ob dort in HH oder Kiel oder Aarhus mehr Kaufkraft sein mag. Was machen die richtig im Internet? Was bieten die neben dem Laden als Verkaufsfläche denn noch? Wie ist der Spirit spürbar, wenn ich reinkomme? Woran mache ich den fest? In Friedrichstadt sind da überall Baustellen. Und ich verstehe, wenn Betreiber sagen, „ich kann nicht mehr“. Wegzuziehen muss dann ein ganz bitterer Schritt sein. Das muss aber nicht sein. Wie können Ladenbetreiber von anderen lernen. Wo sind die Best Cases? Die Betreiber sind aufgerufen, da aktiv zu werden, sich neu zu erfinden. Egal, wie die Umstände gerade. sind. Anders geht es nicht.
Hallo Herr Morell,
da gebe ich Ihnen absolut recht! Langfristig haben wir Ladenbesitzer (und auch alle anderen Gewerbebetreiber) unser Schicksal in der Hand, indem wir jenes Kauferlebnis schaffen, welches uns vom Onlinehandel unterscheidet. Wie Sie sagen, geht es um den Mehrwert, welcher ein Kunde in einem Geschäft erfährt.
Das unternehmerische Handeln in dieser Situation hat deshalb zwei Gesichter, welche sich nicht beissen. Eine vertriebliche Seite, in welcher ich an einem möglichst attraktiven Angebot arbeite, das Kunden langfristig anzieht und bindet. Und eine ökonomische, welche dafür sorgt, dass sich das ganze unter dem Strich rechnet und die Unternehmer/in am Ende nicht ruiniert.
Das Vertriebliche ist natürlich emotionaler. Allerdings ist das kühle Kalkulatorische ebenfalls ein Ansatz um sich zu motivieren: Ja, es ist möglich es zu schaffen. Packen wir es an! Gleichzeitig ist es aber auch ein Sicherheitsnetz, welches verhindert, dass wir Dinge wagen, die sich nicht rechnen. Und wenn sie sich nicht rechnen, müssen wir am Vertrieblichen arbeiten. Eben so, wie Sie es beschreiben. Dazu brauchen wir aber die finanzielle Luft. Womit wir wieder bei der Liquiditäts- oder Finanzplanung sind.
Geld motivieret keine 100 Meter. Und finanzielle Luft ist kein Garant für bessere Ideen, so meine Erfahrung. Auch bei null Bewegungsspielraum ökonomisch bin ich gefragt, meine Zukunft zu bauen. Man kommt so oder so nicht darum herum, Nutzwert, Mehrwert jederzeit neu zu definieren. Was passt in Die Welt – jetzt? Dass mir nichts einfällt, kann ich auf „Umstände“ nicht schieben. Angst macht eng, ganz bestimmt. Lerne ich mich besser kennen, stelle ich mir der Angst z.B., ist das ein Schritt nach vorn. Dazu ruft die Zeit jetzt auf. Wahrnehmen, was ist. Sich auch Unterstützung holen, sich zusammenzun mit Leuten, die sich auch bewegen, die wach sind, das ist auch wichtig. Das ist immer wichtig. Was tue ich heute, um attraktiv für Kunden, für Gäste, für andere zu sein? Inwieweit macht das, was ich biete, einen Unterschied im Leben der anderen? Wie biete ich es an, dass es Magnetkraft entwickelt? Wie werde ich Kult? Das sind keine Veretriebs- oder Werbethemen. Das hängt zusammen mit meinem Selbstverständnis. Mit der Frage „Wofür mache ich das alles?“ Wenn die Antwort ist „Um zu überleben“ wird nichts draus.
Moin, Herr Morell,
wie schön, eine neue, frische Stimme auf „1621“ zu hören!
Vieles, was Sie anführen, ist richtig. Oder nicht verkehrt. Oder nicht ganz verkehrt.
Das ist genau der Knackpunkt, auf den ich etwas eingehen möchte.
Etwas kann „richtig“ sein und dennoch nicht für alle Menschen gleichermaßen gelten.
Z. B.:“Geld schafft keine Motivation.“ Man hat inzwischen einige Erfahrungen mit dem Konzept des „Bedingungslosen Grundeinkommens“ machen können.
Einige Menschen leben couchpotatomäßig weiter. War vielleicht vorher schon so; oder durch die bequeme Situation neu entdeckt. Andere arbeiten weiter, ähnlich engagiert wie zuvor. Oder auch viel weniger. Oder mehr.
Viele kämen nie auf die Idee, das in sie gesetzte Vertrauen mit Faulheit zu quittieren.
Und einige, und nicht nur wenige Ausnahmen, haben durch die ihnen vielleicht zum ersten Mal im Leben geschenkte Absicherung den Mut, etwas ganz Neues zu wagen. Und es entsteht Wunderbares.
Wovon das abhängt?
Von der Unterschiedlichkeit der Menschen.
Lange dachte ich, wir haben doch alle die gleichen Grundbedürfnisse. Unter den „richtigen“ Bedingungen kann doch nur das „Richtige“ herauskommen. Stimmt leider nicht. Ganz viel hängt von der von so vielen komplexen Faktoren geprägten individuellen Persönlichkeit der Menschen ab. Originalität lässt sich leider nicht verordnen und nicht beschließen. „Kult“ zu werden auch nicht. Eine gute Antwort auf die Frage „Wofür mach ich das alles?“ zu haben, kann man nur jedem wünschen. Aber wünschen reicht oft nicht. Leider.
Sich zusammenzutun ist eine fantastische Idee. Und aufgeben gar keine Option, völlig klar. Aber, auch wenn es von außen betrachtet (und zugegebenermaßen manchmal auch von innen) so aussehen mag, als ob Friedrichstadt einen lediglich schön anzusehenden Dornröschenschlaf hielte: So ist es nicht. Ich kenne etliche engagierte, richtig wache Mitmenschen hier, die Esprit, Ideen und Energie haben und mit der Umsetzung ihrer „Träume“ schon lange begonnen haben. Also, trauen Sie sich ruhig weiterhin, Friedrichstadt zu besuchen-
seien Sie herzlich willkommen!
P. S. Ich liebe Suppe.
Gut, dass es sie – und Sie! – gibt.
Wie lieb. Nur, ohne „Kult“-Anspruch (Und dem entsprechenden Ausleben, ins Leben bringen) wird es in Friedrichstadt nichts werden. Darunter funktioniert es nicht.