Steht das Tourismus-Konzept auf einer soliden Zahlenbasis?

Bei den Recherchen zur Serie über die wirtschaftliche Zukunft von Friedrichstadt, bin ich auf den einen oder anderen Artikel in der Lokalpresse gestoßen. Der eine oder andere enthält interessante Details. Diese möchte ich in diesem kurzen Beitrag einmal hinterfragen. Ich beziehe mich dabei auf einen Artikel in den Husumer Nachrichten vom 16. März 2017. Inhalt sind die Ausführungen des Tourismusexperten Kai Ziesemer aus Kiel, in welchen er erst den aktuellen Istzustand der Stadt beschreibt und darauf basierend seine Strategie für ein Tourismus-Konzept vorstellt.

Was Sie zuvor wissen sollten

Gleich zu Beginn möchte ich mit offenen Karten spielen, damit Sie beim Lesen nicht zwischen den Zeilen lesen müssen. Ich halte sein Tourismus-Konzept für einen kompletten Quatsch. Möglicherweise macht mich das bei der Beurteilung der nachfolgenden „Fakten“ vielleicht etwas kritischer. Aber darauf sollte es eigentlich nicht ankommen, wenn man eine werthaltige Analyse macht.

Was genau will die Stadt mit einem Tourismus-Konzept?

Es kann nicht Ziel der Stadt sein, den Tourismus zu fördern. Tourismus ist für sich gesehen nämlich kein Ziel. Der Stadt kann es immer nur darum gehen, bestimmte konkrete Ziele zu erreichen. Mehr Arbeitsplätze, mehr Einkommen für die Bürger, mehr Steuereinnahmen für die Stadt. Der Stadt sollte es grundsätzlich egal sein, wie dieses Ziel erreicht wird. Wenn man schon einen Experten zurate zieht, dann sollte dieser zeigen, wie das Ziel so sicher, so schnell und so kostengünstig wie möglich erreicht werden kann.

Wenn man das Kieler Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa (NIT) mit einer solchen Analyse beauftragt, ist das zu erwartende Ergebnis nicht ziel-, sondern lösungsorientiert. Und die Lösung ist von Anfang an klar. Und wurde mit dem Masterplan Tourismus am Ende ja auch prompt geliefert.

Dem Tourismusexperten Ziesemer kann man dafür im Grunde keinen Vorwurf machen. Das Problem ist nicht seine fehlende Neutralität, sondern die Aufgabenstellung. Dieser hat der Experte zu folgen. Mit seiner Arbeit erfüllt er lediglich die Erwartungen des Auftraggebers. Wäre der Experte fachlich und sachlich, vielleicht auch wirtschaftlich, unabhängig, das Ergebnis wäre vermutlich, nein mit Sicherheit anders ausgefallen.

Eine einseitige Betrachtung kann nicht im Interesse der Stadt sein

Der Tunnelblick eines Experten ist für die Auftraggeber immer verheerend. Denn oft ist es ihnen nicht möglich, die zugrunde liegenden Daten fachlich zu verifizieren, auf welche sich ein Experte abstützt. Er muss ihnen einfach vertrauen. Ist der Experte aber der Versuchung erlegen, sein Konzept mit – sagen wir einmal – optimistischen Annahmen zu begründen, endet das Ganze vermutlich in einem Fiasko.

Jeder von uns hat schon von solchen Projekten gehört. Mein persönliches Lieblingsbeispiel liefert dabei die Mobilfunk-Frequenzversteigerungen von 2000, als sich die Telekomfirmen einen absurden Bieterwettbewerb geliefert haben. Um die überbordenden Kosten zu legitimieren, haben die sogenannten Experten einfach die Annahmen angepasst. So einfach ging das. Am Ende dieser Entwicklung stand bekanntlich das Ende des Traums von der sogenannten Volksaktie …

Ich bin kein Tourismusexperte, aber ich kann rechnen, habe eine große Erfahrung in betriebswirtschaftlichen Fragen und im Bereich Marketing und Vertrieb. Vor allem habe ich aber ein feines Gespür für Dinge, welche schöner klingen, als sie in Wirklichkeit sind.

Wenn ich das Tourismus-Konzept auch nur oberflächlich betrachte, gibt es einige Dinge, welche Anlass zu höchster Sorge bieten. Es wundert mich ehrlich gesagt, weshalb diese Fragen nicht schon früher von anderer Seite gestellt wurde.

 


Beispiel 1:

„Im Durchschnitt geben Urlauber in Friedrichstadt 80 Euro pro Tag aus, Tagestouristen bringen dagegen nur 40 Euro.“
Ausschnitt aus dem Bericht der Husumer Nachrichten vom 16.3.2017

Ich habe schon an anderer Stelle darauf hinTourismus-Konzept Friedrichstadt Masterplan Tourismusgewiesen, dass diese 40 EUR weit über dem Level liegen, das in anderen Städten erreicht wird. So verbucht Hamburg nach eigenen Angaben lediglich 38,30 EUR pro Tagestourist und Tag. Und Hamburg gehört zu den Spitzenreitern unter Tagesausgaben … Hamburg bietet seine Tagestouristen jedoch ein ungleich breiteres Angebot für den ganzen Tag. Friedrichstadt hingegen ist, wie Herr Ziesemer später launig bestätigt, in „relativ schnell abgefrühstückt“. Wie also kann es sein, dass Stundengäste in einem Tiefpreisgebiet mit kleinem Angebot mehr Geld ausgeben als in einer attraktiven Hochpreisinsel mit einem großen Angebot an Konsumtempeln? Wie ist dieser Aufschlag zu begründen? Worauf basiert diese Aussage?

Natürlich ist es möglich, dass ich als Laie von der Sache nichts verstehe und Äpfel mit Birnen vergleiche. Aber mit mir gibt es zahlreiche Bürger, welche noch weniger von der Sache verstehen und am Ende mit den Konsequenzen zu leben haben. Es wäre also sinnvoll, solche Zahlen vonseiten der Politik seriös zu hinterfragen. Sollte man danach zum Schluss kommen, dass alles seine Richtigkeit hat, dann umso besser.


Beispiel 2:

„…46 Prozent kontaktieren die Tourismuszentrale…“
Ausschnitt aus dem Bericht der Husumer Nachrichten vom 16.3.2017

Laut dem Bericht kontaktieren 46 % der Besucher die Tourismuszentrale. Das ist beeindruckend! Leider geht aus dem Bericht nicht hervor, auf was sich der Anteil bezieht. Übernachtungsgäste? Tagestouristen? Oder vielleicht auf die Gesamtzahl aller Gäste. Auch hierzu eine kleine Rechnung:

Die Verantwortlichen brüsten sich damit, 440.000 Besucher pro Jahr in die Stadt zu locken. Eine tatsächlich beeindruckende Zahl, angesichts einer Bevölkerung von 2500 Nasen.

Auslastung der Tourismuszentrale gemäss Präsentation Tourismus-KonzeptNehmen wir einmal an, von diesen Besuchern würden die Tagestouristen (80 %) keinerlei Interesse an den Dienstleistungen der Tourismuszentrale zeigen. Blieben immer noch 40.400 Kontakte pro Jahr. Davon sind einige einfach und andere mit einem größeren Aufwand verbunden. Gehen wir von einer durchschnittlichen Verweildauer von 5 Minuten aus. Dann wäre das Tourismusbüro während beeindruckenden 442 Tagen im Jahr voll, ich wiederhole voll ausgelastet (keine Pausen, keine WC-Gänge, keine Besprechungen, keine übrigen administrativen Aufgaben, etc.).

Natürlich ist diese Berechnung in vielerlei Hinsicht ungenau, denn wir kennen weder den genauen Aufwand, noch die Zahl der Mitarbeiter, welche tatsächlich im Kundenverkehr aktiv sind. Umgekehrt haben wir aber extreme saisonale Schwankungen. An einigen Tagen im Hochsommer werden die Mitarbeiter also 36 Stunden arbeiten müssen, im Winter vermutlich deutlich weniger …

So oder so sollten dem geneigten Leser aber Zweifel aufkommen.


Achtung Falle!

Es ist offensichtlich, dass hier mit Zahlen operiert wird, welche nur einen Zweck verfolgen: Legitimität zu schaffen. Für das Konzept, für Nachfrage und Bedarf, die Tourismuszentrale, die anstehenden Investitionen. Oder anders ausgedrückt: Selbst wenn die Zahlen nicht manipuliert sind, dienen sie dazu die Adressaten zu manipulieren. Es geht darum mit diesen Zahlen die Grundlagen für einen Entscheid zu fällen, der – mit der Kanzlerin gesprochen – alternativlos ist.

Wir werden also manipuliert. Im Prinzip ist das sogar legitim. Wer ein Ziel verfolgt, versucht immer seine Erfolgschancen zu verbessern, indem er die für sich sprechenden Argumente in einem besonders gutem Licht darstellt. Es wäre aber schön, wenn die Zahlen trotzdem stimmen würden. Doch tun sie das wirklich?

Wenn Zweifel bestehen – und hier gibt es eine erhebliche Menge davon – muss man ALLE Zahlen extrem gründlich hinterfragen. Kommt man am Ende zum Ergebnis, dass alles in Ordnung ist, gut. Können die Zweifel jedoch nicht ausgeräumt werden, kann man keiner einzigen Aussage und Schlussfolgerung mehr trauen.

Mangelnde Transparenz als Risikofaktor

Wir stoßen beinahe täglich auf Beispiele kolossaler Fehlinvestitionen. Bäder, Museen, Freizeitparks, Flughäfen, Rennstrecken, Bergbahnen um nur die wichtigsten im Bereich der öffentlichen Investitionsfallen zu nennen.

Warum läuft der Staat, laufen die Städte und Gemeinden, aber auch Betriebe immer wieder blind in solch kostspielige Abenteuer mit bösem Ausgang?  Weil:

  • sich nicht getrauen zu sagen, dass sie Zweifel haben
  • es ihnen peinlich ist zuzugestehen, dass sie nicht alles nachvollziehen können und gewisse Aspekte nicht richtig verstehen
  • sie sich schämen zu verlangen, dass man es ihnen so lange erklärt, bis sie es tatsächlich verstanden haben und für eine Entscheidung bereit sind
  • das Wunschdenken über den Realismus siegt
  • die Entscheider Amateure sind und wichtigere Dinge in ihrem Leben zu tun haben, als tagelang über Dinge zu brüten, die sie persönlich eigentlich gar nicht berühren

Wer als Laie so handelt, hat gegen Profis mit eindeutiger Interessenslage keine Chance.Da sich die Stadt und ihre Bürger es sich nicht leisten können, in ein Projekt zu finanzieren, welches auf falschen Annahmen beruht, sollte jemand der Entscheider den Mut aufbringen, alles zu hinterfragen. Das ist nicht peinlich. Es zeigt, dass die Verantwortlichen ihre Aufgabe ernst nehmen und dass sie dem Vertrauen, welches ihre Wähler in sie setzen, gerecht werden.

 


Großprojekte: Ein Fass ohne Boden?

grossprojekte-ein-fass-ohne-boden-artikel-passend-zu-tourismus-konzept-friedrichstadt.Lesen Sie hierzu einen interessanten Artikel zur Frage, weshalb 8 von 10 Großprojekte aus dem Ruder laufen und am Ende nicht so funktionieren, wie das ursprünglich prognostiziert wurde. Keine Angst: Der Artikel ist weder besonders lang, nocht besonders schwierig zu lesen. Auch wenn die Umsetzung des Tourismus-Konzept Friedrichstadt kein Großprojekt im eigentlichen Sinne ist, passt der Mechanismus exakt. Ausserdem ist der Masterplan für Friedrichstadt ein Großprojekt! Einfach auf das Bild von Professor Flyvbjerg klicken (Bildschirmfoto seiner Vorstellung auf https://www.sbs.ox.ac.uk/community/people/bent-flyvbjerg) . Bitte lesen Sie auch den Kommentar am Ende!


Es gibt immer Alternativen

Ich bin zwar erst seit zwei Jahren mit Friedrichstadt verbunden, aber in einer Beziehung habe ich mich offenbar bereits bestens integriert: Ich bin dagegen! Das hängt aber nicht in erster Linie damit zusammen, dass ich den präsentierten Zahlen nicht wirklich glauben kann.

Bevor man eine Entscheidung fällt, müsste man so oder so eine Vollkostenrechnung unter Einbezug aller Faktoren machen. Konkret geht es dabei darum, die wirtschaftlichen Grundlagen konkret zu ermitteln:

  • wie viel kostet eine solche Weiterentwicklung (Investitionen),
  • was müsste man tun um damit erfolgreich zu sein (Aufwand)
  • wie viel bleibt am Ende für die Stadt, die Betriebe und die Bürger hängen (Nettoertrag).

Mit anderen Worten: Lohnt sich der ganze Aufwand tatsächlich?

Im Zirkus mag es reichen, wenn man einfach x-beliebige Zahlen in den Ring wirft.

„Damit generieren Sie einen Nachfragezuwachs von zehn Prozent, einen Bruttoumsatz von 1,1 Millionen Euro und eine halbe Million Euro Wertschöpfung und somit Einkommen, von dem alle profitieren können.“
Zitat aus Husumer Nachrichten vom 10. Oktober 2017

Im richtigen Leben reichen solche Knallerbseneffekte allerdings nicht. Da hört der Spaß nach dem ersten Kassensturz meist schnell auf.

Geht es vielleicht auch eine Nummer kleiner?

Für mich ist entscheidend, dass mit dem Tourismus-Konzept kein einziges der vorhandenen Probleme gelöst, ja nicht einmal angegangen wird. Es wird einfach ein neues Fass geöffnet. Damit aber entstehen neue und offenbar unklare Risiken für die Stadt.

Es gibt einfachere, billigere und effizientere Möglichkeiten die wirtschaftliche Situation der Stadt zu verbessern. Möglichkeiten, welche eine höhere Wertschöpfung, mehr Arbeit, mehr Ertrag bringen. Möglichkeiten die weniger Investitionen erfordern, weniger Risiko beinhalten, besser vermarktet werden können und welche die Lebensqualität der Menschen in dieser Stadt weniger eintrüben. Genau genommen gar nicht.

Aber wie gesagt: Es liegt alles an der Aufgabenstellung!

Daniel S.Batt
Unternehmerberater und Finanzplaner
Kein Tourismus-Experte!

 


Nicht einverstanden?

Sie haben in Bezug auf das Tourismus-Konzept eine andere Meinung? Gut so!! Ich nehme nicht für mich in Anspruch, alles zu wissen. Was notwendig ist, sind konverse Diskussionen. Wenn die Bürger oder deren Vertreter solche Kopfgeburten einfach abnicken, ohne sie kritisch hinterfragt zu haben, ist das Tourismus-Konzept eine Totgeburt. Ganz egal, ob die Annahmen nun stimmen oder nicht. Solche Projekte müssen mit Leben gefüllt werden. Darum: Schreiben Sie einen Kommentar oder reichen Sie einen eigenen Beitrag ein. Solange Sie sich im Rahmen des allgemeinen Anstandes ausdrücken, wird an dieser Stelle nichts zensiert. Versprochen!


Apropos Tourismus-Konzept: Demnächst finden Sie an dieser Stelle ein kleines Tourismus-Konzept, welches eigentlich gar keines ist. Ich will Alternativen aufzeigen, wie Friedrichstadt in Zukunft wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Unter Einbezug der Touristen, aber ohne eigentliches Tourismus-Konzept. Kompliziert? Egal, reinschauen. Die Miniserie beginnt Anfangs Januar!