Rückkehr nach Reims

Didier Eribon schaffte als junger Mann den Sprung aus einem elenden Arbeiter-Milieu, das weiter-hin gekennzeichnet ist durch Ausbeutung, Alkoholismus, Gewalt, Rassismus, Homophobie, indem er sich immer mehr und dann völlig davon abgrenzte und absetzte.
Nach dem Tod des gehassten Vaters kehrt er zurück, führt lange und viele Gespräche mit seiner völlig abgearbeiteten, jedoch äußerst kommunikativen und in der Sache sehr informativen Mutter.
Entstanden ist aus dieser persönlichen wie soziologischen Arbeit der Text „Rückkehr nach Reims“, Vorreiter eines ganz neuen literarischen Genres, das gerade in unserem Nachbarland entsteht.

Was ist Literatur?

Der Text wirft für einige Leser die Frage auf: Was ist Literatur? Und ist das noch Literatur? Dazu ist zu sagen: Literatur lebt immer von der Erweiterung ihrer Sujets.

Der Text ist KEIN rein wissenschaftlicher oder Seminar-Text. Dazu ist er zu persönlich. Er ist KEIN Bekenntnis oder gar Geständnis. Denn er ist nicht moralisch und urteilend oder gar verurteilend. Er ist KEIN Essay. Dazu ist er zu lang. Er ist KEIN Pamphlet. Dazu ist er zu einfühlsam.

Er überschreitet vielmehr die Grenzen zwischen diesen Formen. Es handelt sich um eine Autobiographie, eine Milieustudie, eine soziologische und politische Analyse, eine Darstellung und Analyse des Rechts-Rucks (in Frankreich), ja auch eine Kampfschrift. Und das alles mit einer Fülle von Bezügen.

Man könnte das Buch durchaus jedoch auch als eine mehr oder weniger nette Autobiographie lesen: Junger Mann aus mehr als bescheidenen Verhältnissen schafft den Aufstieg dank seiner hervorragenden Intelligenz und dadurch, dass er zu seiner Individualität zu stehen lernt. Das wäre dann ja fast schon ein klassischer Bildungsroman in alter Tradition. Der Text ist jedoch mehr.

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Der Impuls-Lesekreis soll Diskussionen zu Literatur und Wirklichkeiten anstoßen. Auf sich daraus entwickelnde Lesevorschläge, Wünsche und Themensetzungen wird im Verlauf eingegangen.

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Schockierendes

Selbstverständlich hat das Buch etwas Schockierendes, ja sogar eine Menge Schockierendes.

Im Zusammenhang mit seinem Vater spricht Eribon vom „Gewicht einer erdrückenden Geschichte“. Wir dürfen dieses Urteil auch auf den Text Eribons anwenden.

Dieser Autor, der in einem Text einer gesellschaftlichen und politischen Misere viel Raum einräumt, ist nicht nur Soziologe, sondern auch Philosoph und Literat.

„Rückkehr nach Reims“ kreist u.a. um die Überwindung von Scham, Scham auslösenden Zugehörigkeiten, Herkünften, also sozialer Scham, sexueller Scham, Scham zu einer verachteten Minderheit zu gehören.

Zwischen uns Leser*innen entwickelte sich jedenfalls eine äußerst lebhafte Diskussion ob dieser Themen, die der Text aufwirft.

Das Buch geht u.a. auch der Frage des Verrats nach, nicht nur des Verrats der französischen politischen Eliten, sondern auch der politischen Linken, an der Arbeiterklasse, auch eines persönlichen Verrats. Da wird dieser Text ganz ehrlich.

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Wer hat meinen Vater umgebracht

Zu diesem überragenden, neuen literarischen Genre gehört auch der zweite Text, dem wir uns am 28.6. gemeinsam widmen werden (er ist nicht sehr lang, nicht besonders schwierig und sollte bis dahin gelesen sein!)

Wir werden beim Lesen von Édouard Louis´“Wer hat meinen Vater umgebracht“ feststellen, welche Offenbarung und welcher Entwicklungsimpuls „Rückkehr nach Reims“ des sehr viel älteren Eribons für ihn gewesen sein muss.

Der Titel steht ohne Fragezeichen, er ist auch nicht als Frage formuliert. Denn am Ende sagt uns der junge Autor ganz deutlich, wer seinen Vater umgebracht hat.

J.D. Vance thematisiert in „Hillbilly-Elegie“ ganz ähnliche Problemlagen für die derzeitige USA. Es handelt sich hier um einen eher modern konservativen Autor, der jedoch zu ganz ähnlichen Schlussfolgerungen kommt.

Alle drei sind Arbeiterkinder, die den Aufstieg in ein sehr elitäres akademisches Milieu geschafft haben.

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Rechtsruck

Alle drei thematisieren den Rechtsruck in Europa bzw. populistische und krude verschwörungs-theoretische Auswüchse in den Vereinigten Staaten.

Wir müssen uns in diesem Zusammenhang fragen, was bedeutet ein Zugewinn für die hochgradig rassistische und rechtsextreme Partei des Rassemblement National (RN; früher Front National FN) mit über 30 % bei den Europawahlen? Was bedeutet das für politische Außenseiter und Menschen mit Minderheitenlage wie Didier Eribon und Édouard Louis, die zwar ein gewaltiges Sprachrohr einer kritischen Masse sind, auf eine nicht nur exemplarische Art und Weise jedoch genauso gefährdete Personen.

Was bedeutet eine populistische, chauvinistische, white pride-Regierung einer Großmacht wie den USA für die internationalen Entwicklungen, den Weltfrieden, jedoch ebenso für Nichtweiße, Homosexuelle und Frauen im eigenen Land?

Was wird also jetzt aufgrund dieser Entwicklungen aus „Didier“ und „Eddy“? Die beiden haben zahlreiche Auslandskontakte und Kontakte zu Verlagen weltweit, die ihre Texte in andere Sprachen übersetzen, es gibt viele Theater europaweit, die ihre Texte inszenieren, um sich in einem politischen Notfall jenseits der nationalstaatlichen Grenzen absetzen zu können.

Was wird jedoch aus den Didiers und Eddys, die das nicht können? Den Didiers und Eddys u.a. auch in Österreich, Italien und Ungarn? Noch kann man in diesen europäischen Ländern als Außenseiter bzw. Minderheit irgendwie existieren, auch wenn man ständig mit alltäglicher Gewalt konfrontiert ist.

Es gilt einen Rechtsruck nicht nur zu konstatieren, „ein Rechtsruck hinzu überwunden geglaubten, menschenverachtenden Tendenzen, die für bestimmte Minderheiten eine besondere Bedrohungslage bedeuten. Bekannt dürfte die Steigerung aus Verachtung, Verfolgung und Vernichtung aus den Zeiten der NS-Diktatur sein“*. Es gilt diesen Rechtsruck und diese Menschenverachtung auch zu bekämpfen. Die Texte sind hierfür jedenfalls eine gute Grundlage und ein Impulsgeber.

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28.6.2019 um 17.30 Uhr

Bisher lasen wir : Didier Eribon, Rückkehr nach Reims. Berlin 2016. Der Text ist eine gute Voraussetzung für das, was folgt. Seine Lektüre ist jedoch nicht zwingend. Man konnte sich in der Schaubühne in Berlin auch die Theaterversion von Thomas Ostermeier ansehen. Dazu existiert im Netz noch ein Trailer auf youtube. Die Bundeszentrale für politische Bildung ließ den Text auf eigene Rechnung drucken und hat ihn an alle Interessenten kostenlos verschickt. Inzwischen ist diese kostenlose Version dort leider vergriffen.

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Zum nächsten Termin am 28.6., um 17.30 Uhr beschäftigen wir uns auf jeden Fall mit „Wer hat meinen Vater umgebracht“. Fft. a. Mn. 2019 von Édouard Louis

Und wer es schafft, liest zusätzlich: J.D. Vance: Hillbilly-Elegie. Berlin 2017.

Insgesamt gibt es noch drei Termine zu 40 €.

Und um telefonische Anmeldung wird unter 04881 – 937 90 76 gebeten.

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Sigrid L. Kunkel-Lorraine

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www.sigrid-kunkel.de

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* Es handelt sich um ein Zitat aus einer in genau dieser Sache politisch dringlichen Mail der Autorin vom November 2018 an ihre ehemalige Mitschülerin Annegret Kramp-Karrenbauer, die leider bislang nicht beantwortet wurde…

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