Meinung
Wie kann sich Friedrichstadt auf den Virus vorbereiten?
Vor einigen Tagen habe ich darauf hingewiesen, dass das Coronavirus für Friedrichstadt eine besonders große Bedeutung haben könnte. Das hängt natürlich auch an der Art von Tourismus, den wir hier pflegen (Massentourismus mit einem Schwergewicht auf älteren Menschen). Was mir aber besonders viel Sorgen bereitet, ist die Altersstruktur der Stadt, welche überdurchschnittlich viele Bürgerinnen und Bürger in der besonders gefährdeten Altersgruppe beinhaltet. Als ich den ersten Beitrag schrieb, bestand noch die Hoffnung, der Virus könnte einen ähnlichen saisonalen Verlauf nehmen, wie ein Grippevirus. Diese Hoffnung scheinen sich inzwischen zu zerschlagen. Spätesten jetzt sollte darum klar sein, dass wir so etwas wie einen Plan entwickeln und entsprechende Vorbereitungen treffen sollten.
Eine Pandemie folgt keinem Dreisatz
Die Gefahr einer solchen Pandemie: Die Entwicklung erfolgt nicht linear, sondern exponentiell. Deshalb sind die aktuell tiefen Zahlen in Deutschland trügerisch. Sie werden – das zeigt das Beispiel Italiens deutlich – in den nächsten Wochen sehr rasch ansteigen. Dann wird sich zeigen, ob die medizinische Infrastruktur der Sache noch gewachsen ist. Gut möglich, dass die Sparbemühungen der Vergangenheit dann ihren Preis fordern. Denn es ist nahezu undenkbar, dass die auf vielen Ebenen eingedampften Kapazitäten keine Konsequenzen zeitigen werden.
Wer das weiß, kann auch verstehen, weshalb die Behörden alles daransetzen, die Verbreitung des Virus zu verzögern. Lesen Sie dazu einen sehr anschaulichen Beitrag der SZ. Hier können Sie quasi Schritt für Schritt nachvollziehen, was uns vermutlich in den nächsten Wochen erwartet.
https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/wissen/coronavirus-die-wucht-der-grossen-zahl-e575082/
Was können wir überhaupt tun?
In den Medien können wir im Stundentakt nachlesen, was die Regierungen der verschiedenen Länder unternehmen, um die Pandemie zu bremsen. Wir wollen uns hier aber der Frage stellen, wie sich Friedrichstadt auf den Virus vorbereiten könnte.
Kann eine kleine Landgemeinde wie Friedrichstadt überhaupt etwas gegen eine solche Krise tun? Nun, vermutlich nicht viel. Aber das was wir zu leisten in der Lage wären, könnte für manche Bürgerin und Bürger den entscheidenden Unterschied ausmachen.
Wenn wir Leben retten oder zumindest den Betroffenen Bürgerinnen und Bürger das Gefühl vermitteln wollen, wir würden unser Bestes für Ihre Sicherheit geben, müsste man langsam aber sicher mit den Vorbereitungen beginnen und Friedrichstadt auf den Virus vorbereiten.
Deshalb fordere ich die Bürgermeisterin und Ihre KollegInnen der Stadtverordnetenversammlung auf, sich für einen kurzen Moment von der Ummöblierung des öffentlichen Raums und dem Abbau des Sprungturms im Treene-Bad abzuwenden und sich den effektiven Problemen der Stadt zuzuwenden.
Beginnen würden man vermutlich damit, ein wahrscheinliches Szenario für die Stadt zu entwickeln:
- Welche besonderen Risikofaktoren gibt es in Friedrichstadt?
- Wie sind wir lokal auf die zu erwartenden Aufgaben vorbereitet?
- Wo sind die zu erwartenden Schwach- und Sollbruchstellen?
- Welche Mittel stehen der Stadt zur Verfügung?
- Was sind die Prioritäten beim Einsatz dieser Ressourcen?
- Wie kann private Hilfeleistungen mobilisiert werden?
- Wer koordiniert und organisiert die Freiwilligenhilfe?
- Mit welchen Nebeneffekten ist zu rechnen?
- Welche Mittel stehen zur Verfügung, um die Nebeneffekte ggf. aufzufangen?
Natürlich ist diese Liste nicht vollständig, aber es dürfte klar sein um was es geht: Wenn sich Friedrichstadt auf den Virus vorbereiten will, muss man sich möglichst früh darüber Gedanken machen, was auf uns zukommen könnte. Dabei müssten wir unterscheiden, zwischen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen einer solchen Pandemie.
Welche Vorbereitungen können wir heute schon treffen?
Es hilft nicht, wenn wir uns etwas vormachen: Dieser Virus wird Opfer fordern und die Erfahrungen in China und Italien zeigen klar, wer davon besonders betroffen sein wird: ältere Senioren. Weil es davon in Friedrichstadt überdurchschnittlich viele gibt, müssen wir uns auch überdurchschnittlich anstrengen. Es gilt, deren Risiko angesteckt zu werden, so effektiv wie möglich zu reduzieren.
So wäre es vielleicht möglich, deren Versorgung so zu organisieren, dass das Ansteckungsrisiko minimiert wird.
Apropos Ansteckungsgefahr: Wir müssen die Kinder, welche selber zwar kaum ernsthaft erkranken, aber echte Virenschleudern sind, von ihren Großeltern fernhalten. Dazu könnte man vielleicht eine kurzfristige Kinderbetreuung organisieren.
Wir müssen auch berücksichtigen, dass die medizinischen Kapazitäten der Stadt beschränkt sind (und die Ärzte selbst im erweiterten Bereich der Risikogruppe bewegen). Deshalb dürfte die medizinische Versorgung der Senioren eine Herausforderung sein. Wie organisieren wir bei Bedarf den Transport zu Ärzten und Spitäler außerhalb der Stadt? Darüber konnte man sich bereits im Vorfeld Gedanken machen und den Menschen kommunizieren, dass dieses Thema im Griff ist.
Wie organisieren wir die Betreuung von Menschen, welche sich in häuslicher Quarantäne befinden und keine familiäre Unterstützung genießen? Auch dieser Punkt wäre geeignet, die Ängste der Bewohner zu reduzieren und ein Gefühl der Sicherheit zu verbreiten.
Handeln auf Vorrat
Es geht also darum, die möglichen Problemfelder möglichst frühzeitig zu erfassen und mögliche Lösungen vorzubereiten. Dies gelingt aller Erfahrung nach besser, wenn man nicht unter einem aktuellen Handlungsdruck steht, sondern sich in Ruhe darauf vorbereiten kann. Deshalb sollten wir nicht zuwarten, bis der Virus die Stadt im Griff hat.
Sollten sich die Maßnahmen am Ende als unnötig erweisen, dann wird den Verantwortlichen daraus niemand einen Strick drehen. Im Gegenteil, Sie könnten sich für ihre Weitsicht auf die Schultern klopfen lassen.
Alternativ könnten wir natürlich auch darauf vertrauen, dass die Maßnahmen des Bundes und des Landes im Bedarfsfall greifen und die übergeordneten Behörden dafür sorgen, dass alles rund läuft. Wie heißt es doch so schön? Die Hoffnung stirbt zuletzt. Im Falle einer Pandemie mit einem potenziell tödlichen Virus würde die Hoffnung allerdings nicht das einzige Todesopfer bleiben.
Was wird aus der Wirtschaft in Friedrichstadt?
Neben dem eigentlichen Problemfeld – der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung – dürfte es noch ein weiteres, bedeutendes Krisengebiet geben: Das Gewerbe. Wenn sich das Coronavirus so entwickelt, wie es die Fachleute voraussehen, wird das für das Friedrichstädter Gewerbe zu einem existenziellen Problem.
Wer glaubt, die Stadt hätte Mittel und Möglichkeiten diese Folgen in irgendeiner Weise zu mindern, macht sich etwas vor. Der Stadt und ihren Repräsentanten fehlt schon in guten Zeiten jede Kompetenz in wirtschaftlichen Fragen.
Nicht nur deshalb ist es in einem marktwirtschaftlichen System die originäre Aufgabe der Gewerbetreibeden, sich auf möglicherweise miserable Saison vorzubereiten. Denn wenn sie sich nicht selber helfen, wird ihnen am Ende niemand helfen.
Womit müssen wir in diesem Bereich rechnen? Zumindest in der ersten Hälfte des Jahres könnte es zu einem massiven Einbruch der Besucherzahlen kommen. Gut denkbar, dass die „Rosenträume“ entweder ganz ausfallen oder ein Fiasko werden. Denn mit etwas Pech finden diese auf dem Höhepunkt der Infektionswelle statt. Entweder sie werden also ganz abgesagt (verboten) oder die Menschen verspüren deutlich weniger Lust sich unter die Leute zu begeben, wie in früheren Jahren.
Die Frage, welche sich da stellt:
Wollen wir diesen Markt wirklich durchziehen – Koste es was es wolle?
Egal ob die „Rosenträume“ nun stattfinden oder nicht: Wir müssen uns darauf einstellen, dass sich die Zahl der Gäste vermindert. Außerdem ist es denkbar, dass die verbleibenden Gäste weniger Geld ausgeben, weil sich die wirtschaftliche Lage eintrübt. Wie gehen wir damit um?
Wir halten unser Schicksal nur bedingt in unseren eigenen Händen
Wir dürfen davon ausgehen, dass es einen verstärkten Wettbewerb geben wird. Als Zweitverwerter-Standort, welcher in erster Linie von Tagesgästen lebt, wird Friedrichstadt besonders darunter zu leiden haben. Denn die fetten Hauptstandorte werden sich in diesem Fall verstärkt darum bemühen, möglichst viel aus den verbliebenen Gästen rauszupressen. Das geschieht durch verstärkte Werbemaßnahmen und Preisaktionen. Können und sollen wir da mithalten?
Persönlich glaube ich nicht, dass wir durch höhere Investitionen in das Marketing (welches sich schon aus heutiger Sicht nicht rechnet) irgendetwas bewegen könnten. Das Einzige, was wirken würde, wäre ein besseres Angebot. Nur ist das keine kurzfristige Angelegenheit, sondern bräuchte selbst im allerbesten Fall viele Monate an Vorbereitungen und Kommunikation.
Augen zu und durch
Das Gewerbe wird auf der Angebotsseite nichts bewirken können. Das Einzige was in einer solchen Situation helfen könnte, wäre eine Verschiebung des Geschäftes auf den Onlinebereich. Das dürfe aber bei den allermeisten Betrieben keine Erleichterung schaffen, weil sie entweder kein passendes Geschäftsmodell haben oder vom Onlinehandel und den Gesetzen des Onlinemarketings nichts verstehen.
Wenn das eh schon ertragsschwache Geschäft noch schwächer wird, bleibt als letzte Möglichkeit nur noch, den Betrieb auf Überlebensmodus zu schalten. Das bedeutet, dass die betroffenen Betriebe den Gürtel enger schnallen, indem sie die Fixkosten auf das absolut Notwendige senken. Denn wenn man an den Einnahmen wenig schrauben kann, wird die Schlacht auf der Ausgabenseite gewonnen. In einer solchen Lage zählt jeder eingesparte Euro doppelt. Er ist im Zweifel mehr wert als ein zusätzlicher Euro Umsatz, da dieser in einer solchen Situation teuer erkauft werden muss.
Auch hier drängt die Zeit. Weil sich Fixkosten oft nur mit einem gewissen Vorlauf reduzieren lassen, müssen die Verantwortlichen in den Betrieben heute schon über die Bücher. Das macht so oder so Sinn. Zudem ist es später immer noch möglich ist, Eingespartes wieder zu investieren. Verlorenes Geld hingegen müsste man dazu erst wiederbeschaffen.
Um effektive Einsparungen zu erreichen, könnten sich die Gewerbetreibenden zusammenschließen. So könnte man gemeinsam evt. günstiger einkaufen oder vorhandene Kapazitäten gemeinsam besser auslasten. Oder der offene Erfahrungsaustausch bringt Möglichkeiten zutage, an welche man selber noch gar nicht gedacht hat.
Auch die Stadt sollte ihre Ausgaben überprüfen
Sinkende Einnahmen beim Gewerbe betreffen auch die Stadt. Diese sollte sich darauf einstellen weniger Einnahmen zu generieren als in ihrem eh schon mutigen Haushaltsplan vorgesehen. Zur Not muss man eben großkotzige, aber völlig sinnfreie Investitionen „ins große Bild“, verschieben (oder noch besser beerdigen).
Diese Forderung ist allerdings reichlich naiv von mir. Das Finanzgebaren der aktuellen Führungsriege basiert aktuell auf einer Dreisatzrechnung mit zwei Unbekannten. Exponentialgleichungen stören in diesem Zusammenhang den Ablauf und werden deshalb vermieden. Daran ändert auch ein kleiner Virus nichts.
Moin Sidney,
das wird jetzt kein Kommentar – den Quasi-Tod in Unterhose mit Knickhalslaute finde ich göttlich! Die barocke Idee der Vergänglichkeit, der Vanitas, passt gut auf das aktuelle Geschehen. Archaische Symbolik, die zeitlos ist… kannst Du mir das Bild schicken…? Den Tag der offenen Töpferei sagen wir übrigens nicht ab…
Hallo Markus,
es handelt sich um ein klassisches Sujet des Totentanzes, welcher in meiner Heimatstadt Basel eine große künstlerische Tradition hat.
https://de.wikipedia.org/wiki/Basler_Totentanz
Entsprechend wundert es nicht, dass dieses Bild auch aus einem Basler Museum stammt. Es ist unter einer CC0 Lizenz frei verfügbar und hier in verschiedenen Auflösungen downzuloaden:
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Historisches_Museum_Basel_Totentanz_25102013_3.jpg
Moin Sidney, ich wusste doch, dass ich das schon komplett gesehen habe. Wirklich unglaublich gut gezeichnet… und Du hast die beste Szene rausgesucht… hab mir das schon runtergeladen… Danke! Jetzt wollen wir hoffen, dass Corona sich nicht im Städtchen breit macht…
Ich empfehle…
https://www.gmx.net/magazine/news/coronavirus/virologe-christian-drosten-corona-gefahr-hause-einschliessen-34516016
Ich beziehe mich auf beide Artikel zum Virus und Friedrichstadt. Musste man bereits in den letzten Jahren befürchten, dass eine irgendwie geartete Krise, originaer volkswirtschaftlicher Natur oder auch Finanzkrise oder ein Platzen der Immobilienblase Friedrichstadt mit seinem bewusst gesetzten einzigem Schwerpunkt Tourismus hart trifft, so ist es nun ein kleiner Virus, der mindestens eine Saison verhageln wird.
Deine Vorschläge, Sydney, sind gut und richtig. Wenn die Krise jetzt endlich dazu führen wuerde, dass man sich auf die Bedürfnisse der Bewohner besinnt und ganz neue, andere Konzeptionen gemeinsam erarbeitet, wäre viel gewonnen. Eine lebenswerte, lebendige und vielfältige Stadt mit einer fortschrittlichen Infrastruktur waere für die Bewohner wuenschenswert. Dazu gehörten z.B. eine unabhängige Gesundheitsberatung, ein Unverpackt- oder ein Bioladen oder beides in Kombination, Bildungsinitiativen, ein Begegnungszentrum zum Austausch und für kulturelle Projekte (Leerstand gibt es genug!) mit Volxkuechen und Ähnliches. Genau solche Iniativen wurden in den letzten Jahren von den Herrschaften verhindert. Die Frage ist:Suhlt man sich jetzt im Elend oder fuehrt die große Krise zum Umdenken und wirklich alternativem, sinnvollen Handeln?